Andere Welten

Bücherecke: Naomi Novik: Scholomance – Die goldenen Enklaven

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In der Bücherecke stellt Birgit Schwenger “Scholomance – Die goldenen Enklaven” vor. El setzt alles aufs Spiel, um die Welt der Zauberer vor dem Untergang zu retten.

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Furioses Finale: Im letzten Band der Trilogie setzt El alles aufs Spiel, um die Welt der Zauberer vor dem Untergang zu retten.

Der dritte Band von Noviks Dark-Fantasy-Trilogie schließt sich nahtlos an das Ende des zweiten an: El und ihren Freunden ist es tatsächlich gelungen, allen Kindern die Flucht aus der Scholomance zu ermöglichen. Aber das Happy End bleibt dennoch aus, denn in letzter Sekunde hat Orion El aus den Toren der Schule gestoßen, um sich ganz allein dem übermächtigen Schlundmaul namens Patience und damit seinem sicheren Tod entgegenzustellen. Völlig verzweifelt und am Boden zerstört findet sich El in der kleinen Kommune ihrer Mutter in Wales wieder.

El gibt sich selbst die Schuld an Orions Tod und ist in ihrer abgrundtiefen Verzweiflung bereit alles zu riskieren, um ihn doch noch irgendwie zu retten oder ihn zumindest vor dem qualvollen, endlosen Dahinsterben im Inneren des Schlundmauls zu bewahren. Nur der beruhigende Einfluss ihrer Mutter verhindert, dass El allerlei brandgefährliche Zauber wirkt, die sie zurück in die Schule bringen, Orion heraufbeschwören oder gleich das Gewebe der Realität selbst verändern sollen. Vor allem letzteres hätte ganz sicher Tod und Zerstörung über den Rest der Welt gebracht, was El schließlich von ihrer eigenen Urgroßmutter prophezeit worden ist.

Stattdessen enthüllt sie ihrer Mutter, dass sie in der Schule die legendären Sutras vom Goldenen Stein gefunden hat, mit deren Hilfe sie sichere, geschützte Enklaven für alle Hexen und Zauberer der Welt erschaffen will. Dies hat jedoch zur Folge, dass ihre Mutter ihr ein weiteres dunkles Familiengeheimnis enthüllt. Aber bevor El sich damit groß auseinandersetzen kann, sieht sie sich auf einmal mit Liesel, der Jahrgansbesten ihrer Stufe konfrontiert, die ihre Hilfe für die Londoner Enklave einfordert, die kurz vor dem Untergang steht.

Demselben mächtigen Zauberer, der bereits die Enklave von Bangkok zerstört hat, ist es nun auch gelungen, die Enklave von Salta zu vernichten und die Londoner an den Rand des Abgrunds zu bringen. Widerwillig stimmt El dem Rettungsversuch zu, und muss es zu ihrem großen Entsetzen erneut mit einem riesigen Schlundmaul aufnehmen. Gestählt durch die Zeit in der Scholomance und angetrieben von ihrer Wut gelingt es El tatsächlich das Ungeheuer zu vernichten, womit ihr Ruf als mächtige dunkle Zauberin mit Weltzerstörungspotential endgültig gefestigt zu sein scheint.

Weltuntergangsstimmung in der magischen Gemeinschaft

Doch El plant weder sich ihre Dienste teuer bezahlen zu lassen, noch strebt sie insgeheim die Weltherrschaft an. Ihr einziges Ziel bleibt weiterhin Orion zu retten. Gemeinsam mit Liesl reist sie daher nach New York, um Orions Eltern um Hilfe zu bitten, ihr den Weg zurück in die Scholomance zu ermöglichen. Aber natürlich kommt alles anders geplant: El muss erkennen, dass nicht nur ihre Familie ein dunkles Geheimnis unter Verschluss hält, und dass die Entscheidung zwischen Gut und Böse weder eindeutig noch leicht ist.

Außerdem ereilt sie ein verzweifelter Hilferuf ihrer Freundin Liu aus Peking, der sie endgültig die grausame Wahrheit erkennen lässt, auf der das Überleben der Enklaven und die Stabilität der magischen Welt fußt. Doch El wäre nicht sie selbst, wenn sie sich von einer schier aussichtlosen Lage und der drohenden Apokalypse abhalten lassen würde, ihren ganz eigenen Weg zu gehen. Gemeinsam mit ihren Freunden und unerwarteten neuen Verbündeten setzt El erneut alles auf Spiel, um ihre Liebsten und die Welt der Magier und Hexen zu retten.

Der Ernst des Lebens beginnt

Zu Beginn des Buches scheint erst einmal die Luft heraus zu sein: El ist vor lauter Wut und Verzweiflung außer sich und kennt kein anderes Ziel, als die Geschehnisse rückgängig zu machen oder Orion auf sonst irgendeine Weise zu retten – koste es, was es wolle. Doch als dann wirklich etwas passiert, kracht es gleich so richtig. Der Schulhölle eben erst entkommen sieht sich El mit der Welt der erwachsenen Zauberer konfrontiert, die geradewegs auf einen tödlichen Enklavenkrieg zusteuert.

Aber schließlich heißt es nicht umsonst, dass nach der Schule der Ernst des Lebens beginnt. Geschickt hält Novik ihre Leser*innen im Ungewissen, wer nun der wahre Bösewicht ist und im Hintergrund die Fäden zieht. Wird es mit El doch noch ein böses Ende nehmen oder wird es ihr gelingen die Prophezeiung abzuwenden? Gelingt es ihr Orion zu retten oder wird ihre Liebe zu ihm sie mit in den Untergang reißen? Und welchen Preis gilt es für all das zu zahlen?

Eskapismus pur oder mehr Realität als uns lieb ist?

Phantastische Geschichten müssen sich oft den Vorwurf gefallen lassen, reine Fluchtmechanismen vor der Wirklichkeit darzustellen. Gerade in Zeiten wie diesen fragt man sich zwar, was falsch daran sein soll, für eine Weilchen den Krisen der Welt entfliehen zu wollen und in ein spannendes, aber für einen selbst ohne Folgen bleibendes magisches Abenteuer abzutauchen. Andererseits geht es in den Goldenen Enklaven gerade darum: Keine Handlung bleibt ohne Konsequenzen. Um welchen Preis erkaufen sich die Enklavler den Schutz und die Sicherheit ihrer magischen Heimstätten? Und wer zahlt diesen Preis? Wie leicht fällt es zu verdrängen, dass irgendjemand immer den Preis dafür zahlt, aber eben nicht man selbst? Ist es in Ordnung einfach wegzuschauen und das Leid anderer zu ignorieren, wenn man weiß, dass man dadurch seine Liebsten schützen kann und nicht auf Bequemlichkeit und Komfort verzichten muss?

Wer zwischen den Zeilen liest, wird bald feststellen, dass Noviks Fantasy-Roman keineswegs völlig losgelöst von unserer Wirklichkeit spielt. Die Situation scheint eine andere zu sein – aber ist sie das wirklich, wenn ein Krieg bevorsteht und man Partei ergreifen muss? Wenn man weiß, dass Partei ergreifen womöglich den Verlust der eigenen Sicherheit bedeuten und drastische Einschränkungen mit sich bringen wird? Natürlich kann man Noviks Roman auch einfach nur als spannendes, zunehmend düster werdendes Fantasy-Abenteuer lesen und Spaß an der ausgeklügelten Geschichte und den interessanten Charakteren haben und dem finalen Höhepunkt entgegenfiebern, den man so garantiert nicht kommen sieht.

Der Verlag empfiehlt das Buch ab 14 Jahren, was vielleicht sogar etwas zu jung ist für die düsteren Zwischentöne. Auch die Erklärung, wie die Magie in der Scholomance-Welt funktioniert und welche Schwierigkeiten das mit sich bringt, sind nicht ganz ohne und vielleicht an der einen oder anderen Stelle einen Tick zu theoretisch. Auf jeden Fall ist der 528 Seiten starke Roman so wie die ganze Trilogie definitiv auch für ältere Leser*innen geeignet, die Dark Fantasy vermischt mit wirklich schrägem schwarzen Humor mögen.

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