Ein Blick in die Vergangenheit. Vor vielen Jahren saß der kleine Bernd im Wohnzimmer der elterlichen Wohnung und ließ sich erstmals zu fernen Planeten fliegen. Doch es waren nicht Han Solo oder Captain Kirk, nicht Perry Rhodan oder Mark Brandis, die am Steuer des Raumschiffs saßen, sondern ein Mann namens Captain Future, der Anfang der 1980er im ZDF mit seinem Kreuzer Comet in 25-minütigen Episoden über die Mattscheibe zischte. Dass es sich dabei um die deutlich gekürzte Version eines japanischen Zeichentrickfilms handelte, der auf Pulp-Magazin-Geschichten der 1940er aus der Feder des nur mäßig von der Szene geschätzten US-Schriftstellers Edmond Hamilton basierte, das bedeutete mir damals alles nichts. Für mich zählte nur, dass da ein heldenhafter Typ im weißen Anzug mit blauer Lampe auf der Brust und einer coolen, kabelgebundenen Laserpistole von Planet zu Planet düste, dass er einen korrekten Roboter, einen launigen Knautschtyp und ein fliegendes Gehirn als Freunde hatte und dass sein Raumschiff vier echt krasse Laserkanonen aufwies. Kindergehirne konzentrieren sich halt auf das Wesentliche.
Doch wie das zu damaligen TV-Zeiten so war: Irgendwann war die Serie abgelaufen, dann kam Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert wie auch meine erste krude SAT-1-VHS-Aufnahme vom Krieg der Sterne, und gepaart mit einer Menge Merchandise (Actionfiguren!) und Romanen drängten andere Franchises recht bald meine Liebe für Captain Future in den Hintergrund. Jahrzehntelang schlummerte sie dort, gelegentlich kurz aufgeschreckt durch die Neuübersetzung der alten Romanwerke beim Golkonda-Verlag oder die Hörbücher bei Highscore Music, aber nie hat es wirklich gereicht, um mich zurück an Bord der Comet zu locken. Erst die Captain Future – Collector’s Edition auf Blu-Ray, die nicht nur die 40 Episoden der ZDF-Schnittfassung, sondern auch die 52 Folgen der japanischen Originalfassung enthielten, weckten, gepaart mit einem mittlerweile erreichten Alter, die Lust an der Nostalgie (wobei es trotzdem noch eines Sonderangebots bedurfte, um mich zum Kauf zu verlocken.)
Stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort
Wie Captain Future selbst, der stets zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist, tauchte just in diesem Moment ein Carlsen-Comic auf meinem Radar auf: Captain Future – Der ewige Herrscher. „Nach dem Werk von Edmond Hamilton“ stand sehr, sehr klein unter dem Titel. Deutlich präsenter war da die bekannte und beliebte Zeichentrick-Optik meiner Kindheitshelden. Und vor allem der Werbespruch „Angelehnt an die japanische Zeichentrickserie erzählen Sylvain Runberg und Alexis Tallone ein neues Abenteuer über den Herrscher von Megara.“ lockte mich doch extrem. Neue Comic-Abenteuer mit Captain Future? Modern erzählt, aber in der schicken alten Optik? Das musste ich mir zu Gemüte führen!
Der Comic ist ein schöner, großer Hardcoverband (etwas über DIN A4) und wirkt erfreulich wertig verarbeitet (Fadenbindung!). Zusammen mit seinen 168 festen Vollfarb-Seiten kommt mir der Preis von 28 Euro nicht zu hoch vor. Gleich zu Beginn begrüßt einen auf dem Titelblatt die Comet, die auf ein farbenprächtiges Sternenpanorama zufliegt. Und auch die erste Seite der eigentlichen Geschichte legt mit einer großen Raumstation, die von winzigen Schiffen umschwirrt wird, stark vor. Die Seiten danach sind im Wesentlichen von einer klaren Panelstruktur beherrscht, die Alexis Tallone mit sehr sauberen, farbkräftigen Zeichnungen füllt. Der Stil orientiert sich dabei spürbar an der Zeichentrickserie, allerdings wirkt Captain Future etwas jünger, Otto etwas cooler und Joan Landor deutlich emanzipierter, alles Neuerungen, die man gern mitnimmt.
Kein ganz neues Abenteuer
Um mich für die Lektüre in Stimmung zu bringen und auch Vergleiche ziehen zu können, hatte ich zuvor noch einmal die ersten paar Folgen der Captain Future-TV-Serie gesehen. Das war ein glücklicher – oder unglücklicher, je nachdem – Zufall, denn so wurde mir bereits nach wenigen Seiten bewusst, dass mit diesem Comic mitnichten ein neues Abenteuer von Captain Future und seiner Crew vorliegt. Vielmehr wird eine visuell und vom Erzählfluss her modernisierte Variante der ersten drei (im Deutschen) beziehungsweise vier (im Japanischen) TV-Episoden geboten, die zusammen eine Geschichte mit dem Titel Der Herrscher von Megara erzählen und ihrerseits, wie ich recherchiert habe, auf der Romanvorlage Captain Future and the Space Emperor (auf Deutsch bei Golkonda Der Sternenkaiser) basieren. Das ist per se nicht schlimm. Es soll nur klar gesagt werden, damit niemand nachher enttäuscht ist.
Ich kenne die Romanvorlage nicht, aber im Vergleich zu den TV-Episoden gibt es schon ein paar Unterschiede, vor allem im Detail. So wurde beispielsweise ein eher episodisches Spannungs-Intermezzo in einer von einem Lavameer umgebenen Haftanstalt rausgeschnitten, die Agentin Joan und der Junge Ken werden etwas anders eingeführt, die Reihenfolge mancher Ereignisse wurde geändert und sogar hinter dem „Herrscher“ steckt am Ende jemand anderes. Im Kern jedoch bleibt die Handlung durchaus erhalten.
Pulp pur!
Und die ist Pulp pur. Es beginnt mit einem Rückblick in Futures Kindheit. Die Eltern des kleinen Curtis Newton sind geniale Wissenschaftler. Gerade präsentieren sie der Öffentlichkeit einen Roboter mit Gefühlen und einen Androiden mit offenbar beliebig formbarer Biomasse – Grag und Otto –, als die Raumstation, auf der sie arbeiten, von fanatischen Gegnern ihrer Forschung angegriffen wird. So wird klein Curtis früh zur Waise und die zwei Kunstgeschöpfe werden ihn großziehen. Das könnte der Stoff eines veritablen Psychothrillers werden, aber hier geht alles gut und die zwei wie alte Eheleute zankenden, aber im Herzen hochmoralischen Maschinenmenschen machen ihren Job gut, sodass aus Curtis Captain Future wird, der gebildete, integre und natürlich topfitte „Mann für alle Fälle“ seiner Zeit.
Den ruft auch der Präsident der „Regierung des Weltraums“ ganz gern mal um Hilfe, wenn es irgendwo brennt. Und dass es brennt, wird spätestens deutlich, als eines Tages ein Agent der Regierung vom Planeten Megara heimkehrt. Dort passieren seltsame Dinge. Eins davon: die spontane Verwandlung jenes Agenten in ein urtümliches Monstrum, das von Sicherheitskräften getötet werden muss, weil es Amok läuft. Um den ominösen Vorgängen auf den Grund zu gehen, wird Captain Future mit seiner Crew geschickt, allerdings überwacht von der Erdagentin Joan Landor – man kann schließlich, wie sie findet, so einem selbsternannten Weltenretter nicht trauen! Und so fliegt die gemischte Truppe, zu der natürlich noch das fliegende Gehirn Professor Simon und alsbald der junge Technikfreak Ken gehören, los, um das Geheimnis zu lüften. Dabei stößt sie mit dem sinistren „Herrscher von Megara“ zusammen, einer scheinbar wiedergekehrten und unantastbaren Gottheit der Ureinwohner jener Welt.
Ein Vergnügen für Kenner und Neulinge
Das von Sylvain Runberg und Alexis Tallone neu interpretierte Abenteuer macht wirklich Spaß zu lesen. Es gelingt den beiden gut, klassische „Captain Future“-Vibes mit sanften Modernisierungsmaßnahmen für die heutige Zeit aufzubereiten. So wird die Rolle von Joan Landor aufgewertet, die noch in der TV-Serie als „damsel in distress“ eingeführt wurde, die nebenbei immer wieder unseren Helden anschmachtete. Nun darf sie zumindest als skeptische, selbstbewusste Stimme das Handeln Futures begleiten. Auch der Konflikt zwischen den Ureinwohnern und den Menschen auf Megara bekommt etwas mehr Zündstoff, denn wie es scheint, wird die dort eingeborene Bevölkerung mehr oder weniger als „Menschen zweiter Klasse“ behandelt, was ihre Freiheitsbestrebungen verständlich macht. Dass sie dabei einem egoistischen Demagogen folgen, der mit ihren Nöten gut zu spielen weiß, ist ein Fehler, den nicht zuletzt Menschen immer wieder gern machen.
Die Geschichte kann sich auf ihren über 160 DIN-A4-Seiten erfreulich Zeit lassen, um den Figuren Raum zu geben und den Konflikt sukzessive aufzubauen. Am Ende klappt man das Werk mit dem guten Gefühl zu, eine funktionierende, spannende, „romanhafte“ Geschichte gelesen zu haben und nicht bloß flott runtergerissene Franchiseware. Dabei können sowohl Kenner als auch Neulinge ihr Vergnügen damit haben. Für Neulinge sind natürlich das Geheimnis um die Verwandlungsseuche und die Identität des Herrschers von Megara besonders reizvoll; Kenner mögen sich vor allem an der neuen Interpretation der alten Geschichte erfreuen, die im Detail eben doch vieles ändert, ohne ihren Kern zu verlieren.
Mein Fazit
Der Comic Captain Future – Der ewige Herrscher macht alles richtig! Die klassische Geschichte von Edmond Hamilton wird gekonnt modernisiert für heutige Leser angeboten, dazu in der berühmten Optik der 80er-Jahre-Zeichentrickserie, die für die meisten von uns das Bild von Captain Future geprägt hat. Kenner freuen sich vor allem über ein Wiedersehen mit dem Captain und seiner Crew in einem neuen Medium, Neulingen wird ein bis zuletzt spannendes Science-Fiction-Abenteuer präsentiert. Heroische Action, ein wenig rüpelhafter Otto-Humor, eine Prise Gesellschaftskritik und reichlich pulpige Space-Opera-Atmosphäre – das alles findet sich auf diesen Seiten, die regelrecht dazu verführen, mal wieder (oder erstmals) in die alte TV-Serie hineinzuschauen. Nur einen Wermutstropfen gibt es: Neu ist das Ganze nicht. Stattdessen handelt es sich „nur“ um eine durchaus freie Adaption von Der Sternenkaiser (Romanvorlage) respektive Der Herrscher von Megara (TV-Vorlage). Doch selbst wenn: Auf dem gebotenen Niveau dürfen gern noch weitere Abenteuer erscheinen!
Captain Future – Der ewige Herrscher (Comic) von Sylvain Runberg
Carlsen 2025 / ISBN: 978-3-551-80338-2
168 S., Hardcover, deutsch
Preis: 28,00 EUR
Informationen zum Redakteur

Bernd Perplies
Website: http://www.bernd-perplies.de
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Bernd Perplies verbringt schon sein ganzes Leben mit Zwergen und Sturmtrupplern, Vampiren und Vulkaniern. Prägende Jugendjahre voller Abenteuer an der Seite von Perry Rhodan, Jean-Luc Picard, Gandalf und Luke Skywalker sorgten für eine Anhäufung unnützen Wissens über neue Welten, neues Leben und neue Zivilisationen fernab der Realität. Um dieses Wissen sinnvoll weiterverwerten zu können, entschied er sich für eine Laufbahn als Schriftsteller, Übersetzer und Journalist.
Seitdem hat er zahllose Artikel für die SpaceView, das Phantastika Magazin und Tor Online verfasst, rund 20 Star Trek-Romane (und ein bisschen Genre-Beifang links und rechts) übersetzt, etwa 1000 Seiten an Playmobil-Magazin-Comics ersonnen und annähernd 50 phantastische Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene geschrieben, darunter die Magierdämmerung-Trilogie, offizielle Beiträge zu Shadowrun und BattleTech, die Drachengasse 13-Reihe und Star Trek Prometheus, den Geburtstagsdreiteiler des Cross-Cult-Verlags zum 50-jährigen Jubiläum von Captain Kirk & Co.
Bernd Perplies lebt mit seiner Familie (und einer einzelnen tapferen Grünpflanze) unweit von Stuttgart in einem Labyrinth aus Billy-Regalen voller Bücher, Filme und Brettspiele.
