Andere Welten

Bücherecke: Kelly Link: Seltsame Geschehnisse

© Carcosa Verlag
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Gleich in der ersten Geschichte Nelken, Lilien, Lilien, Rosen – im Original nach dem Gemälde Carnation, Lily, Lily, Rose von John Singer Sargent benannt – geht es um einen Mann, der gestorben ist und versucht, sich in der neuen Realität, einer Art Hotel an einem Strand, zurecht zu finden sowie sich an seine Frau zu erinnern, deren Namen er ebenso wie seinen eigenen vergessen hat. Aber ist es ein Traum? Ist es eine Art Übergang von der Welt der Lebenden in die des Todes? Wer sind die anderen, seltsamen Gäste des Hotels?

In der zweiten Geschichte Wie Wassertropfen von ihrem Fell besucht ein junger Mann erstmals seine Freundin zuhause bei ihren Eltern. Es überrascht ihn nicht, dass sie sehr seltsam sind – das hatte er schon erwartet –, zumal ihn seine Freundin gewarnt hatte. Aber als er sie dann näher kennenlernt, schwant ihm Übles. Unweigerlich muss man an Get out denken, auch wenn die Dinge hier doch etwas anders verlaufen.

Der Hut des Spezialisten, 1999 mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet, erzählt die Geschichte der Zwillinge Claire und Samantha, die mit ihrem Vater in ein geheimnisvolles Haus gezogen sind. Wie seltsam es wirklich ist, finden die beiden Mädchen heraus, als ihr Babysitter eines Abends auf sie aufpassen soll. Sehr unheimlich und gruselig, man spürt förmlich, wie einem der Schauer den Rücken herunterläuft.

Unterhaltsam und erschreckend

Einige Geschichten wie Flugstunden (sehr witzig!) oder Von Schuhen und Ehen (beängstigend) bilden den Rahmen, der mehrere kleine Geschichten in sich zusammenhält – unterhaltsam, erschreckend und sehr komplex. Reisen mit der Schneekönigin, 1997 mit dem James Tiptree Jr. Award preisgekrönt, ist eine amüsante Hommage an das Märchen der Schneekönigin, nimmt aber eine ganz andere Wendung gemäß dem Motto »Selbst ist die Frau«. Der Verschwindetrick ist eine herrlich verrückte Geschichte über die vielen verschiedenen Arten, wie Menschen verschwinden können, und vermischt geschickt die  Realität mit fantastischen Elementen.

Louises Gespenst erhielt 2001 den Nebula Award und erzählt die verwirrende Geschichte zweier Frauen namens Louise. Eine von beiden wird von einem Geist heimgesucht, die andere datet nur Cellisten und hat eine Tochter, die nur grüne Sachen isst. Gemeinsam beschließen sie, auf sehr absurde Art und Weise den Geist loszuwerden. Ebenfalls sehr bizarr ist die abschließende Geschichte des Detektivmädchens, das – wenn es denn wirklich ein kleines Mädchen ist – Assoziationen Nancy Drew weckt. Die Mutter des Mädchens wird vermisst, außerdem geht es um stepptanzende Bankräuber, ein seltsames chinesisches Restaurant und das Märchen der 12 tanzenden Prinzessinnen, die buchstäblich in die Unterwelt hinabsteigen. Sehr clever, höchst amüsant und ein sehr intelligenter Mix aus den verschiedensten Stilrichtungen, was definitiv die Stärke all dieser Erzählungen ist.

Eine Entdeckung wert

Der Kurzgeschichtenband Seltsame Geschehnisse ist im Original unter dem Titel Stranger Things Happen bereits 2001 veröffentlicht worden. Die deutsche Übersetzung von Kelly Links Debüt ist nun dankenswerter Weise vom Carcosa Verlag erschienen. Hierzulande gilt es Kelly Link, die 2024 mit The Book of Love ihren ersten Roman vorgelegt hat, noch zu entdecken. Dass sie es wert ist, hat schon Altmeister Stephen King betont, der Links Geschichten als brillant und faszinierend beschrieben hat und besonders ihre Fähigkeit schätzt, Elemente aus Horror, Fantasy und magischem Realismus miteinander zu verbinden. Vielleicht nicht jedermanns Sache, aber auf jeden Fall sehr interessant und die Entdeckung wert. In vielen der Geschichten geht es sehr düster zu, aber der Humor, wenn auch sehr augenzwinkernd, kommt ebenfalls nicht zu kurz. Das Unheimliche schleicht sich eher langsam und fast unbemerkt ein, bis plötzlich aus den mysteriösen Rätseln Horror und Schrecken werden und was gerade noch seltsam war, in Furcht und Angst umschlägt.

Bei Link muss man damit rechnen, dass alles Furcht erregend sein kann, selbst Alltagsgegenstände wie ein Hut oder auch die eigene Freundin oder zu viele blonde Frauen. Sie bietet kein ein eindeutiges Ende, keine einfache Erklärung, wie die Geschichten zu deuten sind. Hier ist der Leser selbst gefragt, sich die Geschichten zu entschlüsseln, und ähnlich wie bei Stephen King weiß man manchmal nicht, ob der Protagonist verrückt wird, träumt oder ob sich die seltsamen Geschehnisse in einer Wirklichkeit ereignen, die unserer Realität entspricht, wenn auch auf verschiedenen Zeitebenen. Ein genreübergreifendes Kleinod der Fantasie!

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