Tausend Jahre vor den Ereignissen, die im Drachenbeinthron geschildert werden, erreicht das Reich der Sithi, der (fast) unsterblichen Herrscher über die nördlichen Regionen von Osten Ard, ein Hilferuf der Menschen, die sich zum Missfallen vieler Sithi in einigen Regionen ihres Reiches angesiedelt haben. Ihr Anführer, Prinz Cormach aus dem Geschlecht von Hern dem Großen, bittet in größter Not um die Hilfe der Sithi: Einer der ältesten und tödlichsten Drachen ist zurückgekehrt und in ihr Gebiet eingedrungen.
Immer wieder fallen ihm Mensch und Tier zum Opfer, und Cormach fürchtet ein schlimmes Schicksal für sein Volk. Die Herrin und der Herr von Asu’a sagen zu, die Angelegenheit untersuchen zu lassen, doch glaubt kaum jemand, dass das furchtbare Ungeheuer Hidohebhi wirklich aus der Welt der Legenden und Mythen in ihr Reich zurückgekehrt sein soll.
Für die Menschen sind die Sithi fast gottgleich, und sie wissen, dass sie ohne deren Hilfe keine Chance haben, den gefährlichsten aller Drachen abzuwehren. Auch die hochangesehenen Söhne des Herrscherpaares, der bedächtige Hakatri, Meister der Pferde und ein großer Kämpfer, sowie sein jüngerer Bruder, der stolze und leidenschaftliche Ineluki, wohnen der Audienz bei.
Während Hakatri seinem Plan folgen und zunächst auf Riesenjagd gehen will, ist Ineluki am nächsten Morgen verschwunden. Voller Sorge um seinen waghalsigen Bruder macht auch Hakatri sich mit seinem Gefolge und dem des Prinzen Cormach auf in den Norden von Osten Ard, wo der Drache gesichtet worden sein soll.
Der Waffenträger
Williams lässt die Geschichte der beiden ungleichen Brüder aus der Perspektive von Pamon Kes, Hakatris Waffenträger, erzählen. Pamon stammt aus dem Volk der Tinukeda’ya, die von den Sithi als Untergebene angesehen werden. Deshalb ist er es gewohnt, missachtet und geringschätzig behandelt zu werden. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass Hakatri ihn zu seinem Waffenträger gemacht hat, obwohl die Tinukeda’ya meist nur Pferde- oder Stallknechte sind.
Pamons Treue und Loyalität seinem Herrn gegenüber ist grenzenlos. Hakatri Wohlergehen und dessen Plänen ordnet Pamon sein ganzes Leben unter, so dass er auch an der Seite seines Herrn bleibt, als dieser sich für seinen Bruder in tödliche Gefahr begibt. Denn Ineluki hat einen schrecklichen Schwur geleistet, der nicht nur seinen Bruder und sich selbst den Tod bedeuten kann, sondern womöglich eine Katastrophe für Sithi und Menschen gleichermaßen heraufbeschwört.
Erst als sie sich auf ihre gefährlichen Queste gegen den uralten Drachen begeben und dabei auch anderen aus Pamons Volk begegnen, wird diesem klar, welches Schicksal sein Volk erleidet: Manche sind nicht mehr als Sklaven, andere ihre eigenen Herren und Meister, die noch die alten Traditionen und Gebräuche der Tinukeda’ya kennen und pflegen. Pamon selbst weiß nicht, wie er sich fühlen und verhalten soll: Ist es Scham, dass er kaum etwas über die Vergangenheit seiner eigenen Leute weiß? Ist es Loyalität seinem Herrn gegenüber, ihm seine Träume und Wünsche auf ein eigenes selbstbestimmtes Leben unterzuordnen? Oder ist er womöglich gar nicht so frei und geschätzt, wie er glaubt?
Rückkehr in die Vergangenheit von Osten Ard
Tad Williams ist mit Brüder des Windes eine stimmige Weltenschöpfung gelungen, die bis ins kleinste Detail perfekt ausgestaltet ist und sich ohne Brüche in den Fantasy-Kosmos seiner Osten Ard-Romane einfügt. Gekonnt knüpft Williams verschiedene Erzählstränge zusammen und schreibt letztlich mehrere Geschichten in einer. Episch und spannend erzählt liegt Williams’ Hauptaugenmerk bei diesem Buch aber mehr auf dem Nuancenreichtum der Geschichte und ihrer Charaktere und nicht so sehr auf Tempo und Action.
Interessant ist auch, dass Williams hier eine Figur einführt, die später zum Antagonisten der chronologisch folgenden Bücher wird. Wer noch nichts von Williams gelesen hat, sollte vielleicht besser mit dem Drachenbeinthron beginnen, aber man muss die anderen Osten Ard-Romane nicht gelesen haben, um den Brüdern des Windes folgen zu können.
Über die Osten Ard-Saga
Mit Das Geheimnis der Großen Schwerter, der Saga von Osten Ard, hat der amerikanische Autor Tad Williams eine der größten epischen Fantasy-Sagas seit Der Herr der Ringe geschaffen. Zunächst 1988 mit Der Drachenbeinthron begonnen, ist die Saga inzwischen auf insgesamt 14 Bände angewachsen, wobei einige der Romane in Deutsch auf zwei Bücher aufgeteilt wurden. 2024 ist die Taschenbuchausgabe von Brüder des Windes in der Hobbit Presse von Klett-Cotta sowie mit The Navigator’s Children (noch nicht auf Deutsch erschienen) der bislang letzte Band der Reihe erschienen.