Andere Welten

Star Trek, Platon und die Wahrheit – oder: Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

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Sven Wedekin macht sich Gedanken über die Wirklichkeit.

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Sternzeit 45944,1: Die Enterprise stößt auf eine Raumsonde unbekannter Herkunft, die einen Partikelstrahl aussendet, welcher Captain Picard trifft und in ein Koma fallen lässt. Als er etwa zwanzig Minuten später wieder erwacht, berichtet er davon die Erinnerungen des kompletten Lebens eines Bewohners des vor Jahrhunderten zerstörten Planeten Kataan durchlebt zu haben. Diese erschienen ihm vollkommen real, obwohl doch letztlich alles nur ein von der Sonde ausgelöste Illusion war.

Oder vielleicht doch nicht?

Was genau ist denn eigentlich der Unterschied zwischen Realität und Phantasie?

Die Antwort auf diese Frage ist auf den ersten Blick eigentlich so offensichtlich wie banal: Real ist das, was für uns Wahr ist, Phantasie ist das, was nur in unseren Köpfen existiert. Doch wie Captain Picard durch sein Erlebnis in der Episode Das zweite Leben aus der fünften Staffel erfahren muss, ist die Sache bei näherem Hinsehen eben doch nicht ganz so simpel. Schon seit Jahrtausenden zerbrechen sich Gelehrte und Philosophen den Kopf darüber wie sicher wir uns denn eigentlich sein können, ob all die Eindrücke, die wir über unsere Sinne wahrnehmen uns auch tatsächlich ein akkurates Abbild der uns umgebenden Welt vermitteln.

Der griechische Philosoph Platon hat in seinem berühmten Höllengleichnis verdeutlicht, dass wir unserer Wahrnehmung womöglich besser nicht so ohne weiteres trauen sollten. In diesem Gleichnis ist eine Gruppe von Menschen in einer Höhle gefangen und so festgebunden, dass sie nur die Schatten jener Dinge sehen, die draußen an der Höhle vorbeiziehen. Sie halten diese Schatten für reale Dinge, ja sie halten sie für die Wirklichkeit selbst.

Sie entwickeln eine Wissenschaft von den Schatten und geben Prognosen über ihr Verhalten ab. Doch als eines Tages einer der Gefangenen sich von seinen Fesseln befreit und sich nach draußen in die echte Welt begibt, glauben seine Schicksalsgenossen ihm nicht, dass es dort draußen eine andere, eine reale Welt gibt, und dass die Schatten nur Abbilder von dieser sind.

Leben wir in einem Holodeck?

Eine ganz ähnliche Erfahrung muss Commander Riker in der Episode mit dem bezeichnenden Titel Phantasie oder Wahrheit aus der sechsten Staffel machen, in der er sich in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie wiederfindet, wo man ihm einredet, er sei ein gefährlicher Mörder und sein Leben auf der Enterprise sei nur eine Wahnvorstellung gewesen. Bald beginnt er ernsthaft dies selbst zu glauben, was dazu führt, dass er beinahe dem Wahnsinn verfällt, bevor er sich in letzter Sekunde aus eigener Kraft retten kann. 

Ein noch anschaulicheres Beispiel bietet jedoch die Folge Sherlock Data Holmes aus Staffel zwei, in der Geordi versehentlich eine Holo-Version von Holmes Erzfeind

Prof. Moriarty erschafft, die sich der Tatsache bewusst ist nur eine künstlich erschaffene Figur zu sein. Moriarty sieht sich mit der Tatsache konfrontiert, selbst Bestandteil einer ihm gänzlich unverständlichen, viel größeren Realität zu sein, die er trotz seiner Intelligenz kaum verstehen kann, obgleich er deren wahren Hintergrund zu erahnen vermeint.

Aus all dem ergibt sich die beunruhigende Frage, ob auch wir Menschen in unserer vermeintlichen Realität uns wirklich absolut gewiss sein können, ob alles was uns umgibt auch tatsächlich real ist. Wäre es nicht genauso gut möglich, dass auch wir nur Teil einer hochkomplexen, virtuellen Welt sind, wir mithin also auch selbst gar nicht wirklich echt sind?

Einer, der diese Möglichkeit konsequent zu Ende gedacht hat ist der schwedisch-britische Philosoph Nick Bostrom, der die These aufgestellt hat, unsere Welt – und damit auch wir selbst – seien in der Tat nur eine von super hochentwickelten Wesen erschaffene Simulation, ganz ähnlich wie es im Sci-Fi-Klassiker Matrix dargestellt wird. Sein Gedankengang lautet, vereinfacht formuliert, folgendermaßen: Wenn eine fremde Zivilisation über eine hinreichend fortgeschrittene Computertechnologie verfügt, die notwendig ist um eine komplexe Scheinwelt zu kreieren, könnte sie theoretisch eine unbegrenzte Anzahl solcher Simulationen erzeugen.

Da es aber logischerweise nur eine einzige reale Welt geben kann ist die mathematische Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet wir in eben dieser existieren sehr viel geringer als jene, dass wir in einer der Simulationen leben. Folglich müssen wir, so Bostrom, davon ausgehen, dass wir höchstwahrscheinlich in einer Art Matrix unser Dasein fristen und uns dessen ebenso wenig bewusst sind wie die Bewohner von Platons Höhle sich darüber im Klaren sind, dass es sich bei den Schatten, die sie sehen nur um Trugbilder handelt.

In der Wissenschaft wird Bostroms These teils sehr kritisch rezipiert, doch Prominente wie Elon Musk oder der bekannte Astronom Neil deGresse Tyson nehmen sie durchaus ernst. Allerdings wirft sie die ungeklärte Frage auf, ob es überhaupt möglich sein könnte ein menschliches Bewusstsein auf künstlichen Wege zu erschaffen, so wie es eben Geordi beim holographischen Prof. Moriarty, getan hat. Dem Computer einfach nur die Anweisung zu geben ein sich selbst bewusstes Wesen zu kreieren dürfte dafür auf jeden Fall kaum ausreichen. Da bis heute nicht abschließend geklärt ist wie Bewusstsein in unseren Gehirn entsteht, muss die Frage ob Bostroms Idee stimmt oder doch nur eine kuriose philosophische Spinnerei ist offen bleiben.

Die Realität ist nicht fassbar

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Moriarty bei seinem zweiten Auftritt in der Folge Das Schiff in der Flasche aus der sechsten Staffel die berühmten Worte von Rene Descartes zitiert: „Ich denke also bin ich!“

Der französische Philosoph des siebzehnten Jahrhunderts wollte damit zum Ausdruck bringen, dass die Tatsache, dass ich an meiner Existenz zweifeln kann meine tatsächliche Existenz beweist, denn jemand der nicht existiert kann logischerweise nicht zweifeln. Doch eben diese Annahme wird von Moriarty selbst entkräftet, denn wie wir am Ende der Episode erfahren ist er nach wie vor eben doch nur eine im Holodeck erschaffene Figur.

Dies führt uns wieder zu unserer Ausgangsfrage zurück: Können auch wir einfach voraussetzen, dass unser Selbstbewusstsein ein Beweis dafür ist, dass unsere Welt und damit auch wir real sind? Und falls dies nicht der Fall sein sollte, was für Schlüsse müssen wir dann daraus ziehen?

Viele Menschen leben nach der Maxime, nur als Wahrheit zu akzeptieren, was sie mit ihren Sinnen direkt wahrnehmen können. Nur zu glauben, was man sieht gilt in unserer heutigen Kultur gemeinhin als Zeichen von Klugheit und als Grundlage kritischen Denkens. Die spannende Frage lautet nun, ob dies aber auch tatsächlich stimmt, denn wie wir gesehen haben können wir uns dessen eben nicht absolut sicher sein.

Wer einfach glaubt, was er sieht müsste zum Beispiel auch annehmen, dass sich der Mond nicht dreht, da er der Erde ja immer dieselbe Seite zuwendet. Aber das ist natürlich nur eine Sinnestäuschung, denn bekanntlich dreht sich der Mond ja sehr wohl um sich selbst. 

Auch Star Trek vermittelt in seinen verschiedenen Inkarnationen zwar die Botschaft, dass es stets am klügsten ist mit einer rational-wissenschaftlicher Einstellung an die Dinge heranzugehen, man denke nur an die unzähligen Gelegenheiten bei denen Mister Spock auf den Wert der Logik verweist. Allerdings muss auch der Vulkanier zugeben, dass die Logik manchmal ihre Grenzen hat. Und es stimmt ja auch: Wir Menschen sind nun mal keine Vulkanier und verlassen uns oft lieber auf unsere Intuition als auf unserer rationales Denken. Dies unterscheidet uns nicht nur von den berühmten Spitzohren, sondern eben auf von Computern. Es ist eben nicht bloß unserer Verstand, sondern auch diese Intuition, die uns sagt, dass sowohl wir als auch die Welt, in der wir leben real sind. 

Vor diesem Hintergrund mutet es fast schon etwas widersprüchlich an, wenn wir der inneren Stimme, die wir alle immer mal wieder in uns hören, einen geringeren Stellenwert beimessen als der Vernunft. Warum vertrauen wir nicht einfach etwas mehr auf das, was unser Bauchgefühl uns sagt? Haben wir vielleicht doch Angst von ihm in die Irre geführt zu werden? Dies wäre sicherlich berechtigt, denn niemand will ja an Unsinn glauben, der dem gesunden Menschenverstand zuwiderläuft, man denke nur an den sich scheinbar nicht drehenden Mond.

Aber was ist das denn überhaupt, dieser ominöse Menschenverstand? Ist er wirklich das genaue Gegenteil der Irrationalität? Oder ist er vielleicht auch nur eine Einbildung, etwas was sich nicht wirklich klar definieren lässt? Und wenn ja, inwiefern können wir uns dann im Alltag auf ihn verlassen?

Vielleicht ist es hier hilfreich, wenn wir damit aufhören Vernunft und Intuition als unvereinbare Gegensätze zu sehen. Warum betrachten wir sie nicht ganz einfach als zwei Seiten derselben Medaille, ganz ähnlich wie Phantasie und Wirklichkeit?

Wenn die sogenannte Realität und unsere Träume nur Konstrukte unseres Geistes sind, also ein bruchloses Ganzes darstellen, gibt es keinen Grund auch sie als Gegensätze zu betrachten. 

Aber wer sagt uns denn dann, was real und was nur eingebildet ist?

Mister Spock würde wahrscheinlich antworten, dass außergewöhnliche Behauptungen, außergewöhnliche Beweise verlangen. Und es stimmt: Scheinbare Gewissheiten und vermeintliche Wahrheiten immer kritisch zu hinterfragen ist zweifellos der beste Weg zur Erkenntnis. Nur wer selbstständig denkt, wird eben nicht so ohne weiteres darauf hereinfallen, was seine Sinne ihm weismachen. Es ist eben kein Zeichen von Klugheit, die Dinge einfach so hinzunehmen, wie sie auf den ersten Blick zu sein scheinen. Das bedeutet aber keineswegs den Glauben an die Existenz von Phänomen aufzugeben, die sich unserer Wahrnehmung entziehen. Im Gegenteil. Es ist sogar hochgradig voreilig anzunehmen, die Welt bestünde nur aus dem, was unserem Bewusstsein zugänglich ist. Die Evolution hat unsere Gehirne dafür konstruiert in unserer Umwelt zu überleben, aber nicht dafür die Welt auch vollständig zu verstehen. Von daher ist es einfach naheliegend, dass es Bereiche der Realität gibt, die für uns eben nicht wahrnehmbar sind. Einige dieser Phänomene haben wir ja auch schon längst entdeckt, man denke nur an die Röntgenstrahlung, die wir nicht sehen können, aber nichts desto trotz von jeher ein Teil der Wirklichkeit war – ein Teil der für all unsere Sinnesorgane unsichtbar ist.

Wer sagt denn, dass es in den Weiten des Universums oder sogar direkt um uns herum nicht noch weitere Wunder gibt, von denen wir keine Ahnung haben, weil weder der Mensch noch jedes andere denke Lebewesen sie wahrzunehmen imstande sind?

Jenseits der Grenzen unserer Erkenntnisfähigkeit könnten sich die wahren Mysterien des Universums verbergen. Sie könnten direkt vor unseren Augen sein, aber wir erkennen sie einfach nicht, weil wir zu sehr damit beschäftigt sind die Schatten an unserer Höhlenwand zu erforschen. Doch nur außerhalb der Höhle, in der wir unser gesamtes Leben verbringen, wartet die wahre Gestalt des Universums vor uns. Nur wenn wir den Mut aufbringen sie zu verlassen, werden wir endlich herausfinden können wie die Welt funktioniert und warum es sie überhaupt gibt. Und wer weiß, womöglich werden wir am Ende unserer Suche etwas finden, was wir Gott nennen …

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