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Bücherecke: David Mack: Star Trek – Coda 3: Tor des Vergessens

© Cross Cult

Bernd Perplies befasst sich heute mit „Tor des Vergessens“, dem dritten Teil der „Coda“-Reihe aus der Feder von David Mack.

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„This is the end“, sangen The Doors 1967, „my only friend, the end.“ Es wäre ein passendes Motto für dieses Buch gewesen, mit dem zwanzig Jahre an literarischem Star Trek endgültig ausgelöscht werden. Aber Autor David Mack, der seinen Büchern ganz gern mal Zitate voranstellt, ist kein Mann der halben Sachen. Er sucht mit diesem Werk, unheilvoll Tor des Vergessenes betitelt, das ganz große Melodram. Und so wählt er stattdessen David Lloyd George, der in seiner berühmten Queen’s Hall Speech in London zu Beginn des 1. Weltkriegs die Bereitschaft zum Opfer für andere als höchste Stufe der Zivilisation rühmt. Und natürlich Marc Aurel, dessen Ausspruch „In der Ewigkeit wird man sich eurer Taten erinnern.“ schon in Ridley Scotts Film Gladiator mächtig eindrucksvoll klang.

Man könnte so einen Einstieg etwas prätentiös nennen. Andererseits schreibt Mack im Nachwort selbst, wie schwer es ihm gefallen ist, diesen Roman zu verfassen, diesen Endpunkt zu setzen nach achtundzwanzig vorherigen Star Trek-Werken aus der eigenen Feder. Da darf man schon mal emotional werden. Und, oh ja, auf den folgenden gut 600 Seiten wird es immer wieder sehr emotional werden. Mack legt hier eine Tour de Force hin, der man sich mit zunehmender Seitenzahl immer weniger entziehen kann. Das ist schon bemerkenswert, über was für eine Strecke es ihm gelingt, die Spannung aufrechtzuhalten und einen regelrechten Sog zu erzeugen.

Anfang und Ende

Dabei beginnt das Buch reichlich unglücklich. Denn schon in der ersten Szene sterben alle: Sisko, Picard, Crusher, Data … Ihre Mission ist gescheitert, die diabolischen Devidianer, die sich das Auslöschen von Realitäten und das Aussaugen der Lebensenergie von Trilliarden Lebensformen zum Lebenszweck gemacht haben, gewinnen. Das Ende steht direkt am Anfang, und es ist ein Ende mit Schrecken. Danach folgt das gern verwendete „Zwei Tage früher“, aber ganz ehrlich: Wer will nach diesem Einstieg überhaupt noch weiterlesen? Wozu soll man sich 600 Seiten lang quälen, wenn man doch eh schon erlebt hat, wie der Kampf ausgeht?

Es sei an dieser Stelle ein kleiner Spoiler gegeben, damit andere Leser nicht den gleichen „Fehler“ machen, den ich begangen habe. Ich habe das Buch nämlich nach diesem Einstieg erstmal ein paar Wochen lustlos zur Seite gelegt und erst jetzt habe ich mich praktisch dazu gezwungen, es fertigzulesen. Und es zeigt sich: Mack erlaubt sich hier ein wenig böses Spiel mit dem Leser. Um das zu durchschauen, muss man allerdings entweder anfangs sehr genau lesen – oder man begreift es erst nach ein paar hundert Seiten. Ich gebe zwei Hilfestellungen: Der Untertitel des Auftakts lautet „Der zweite Splitter“ und danach heißt es nicht „Zwei Tage früher“, sondern „Zwei Tage vor dem Ende“. Ein kleiner, aber feiner Unterschied.

Dimensions- und Zeitreisen

Das Personal der Coda-Trilogie war ja schon bei Dayton Ward und James Swallow alles andere als klein. Aber David Mack setzt noch einen drauf – und schickt unsere Helden nach ihrer erfolgreichen Flucht von Deep Space 9 erstmal ins Spiegeluniversum. Das ist nicht mehr so sehr ein Anlass für Querelen mit bösen Spiegelbildern, darüber ist das LitVerse längst hinaus. Stattdessen nutzt Mack die Möglichkeiten, Figuren auftreten zu lassen, die man ruhig zweimal im Roman haben kann – etwa Luc Picard neben Jean-Luc Picard –, die im normalen Universum bereits tot sind oder auf die er sonst nicht so einfach Zugriff hat. Und so wird die Figurenriege um noch ein paar namhafte Charaktere erweitert, während man sich zusammensetzt und die Lage bespricht.

Das geht relativ flott. Danach ist klar, was getan werden muss, um die Devidianer endgültig zu besiegen. Und hier gelingt den Machern – Ward, Swallow und Mack – ein bemerkenswerter Kniff. Bislang war der Verlust der Realität, die wir als LitVerse kennengelernt haben, die ultimative Niederlage im Kampf gegen einen übermächtigen Feind, ein denkbar frustrierendes Szenario. Nun drehen Mack und Co den Spieß um. Damit die Hauptrealität, auf Meta-Ebene die kanonische Bewegtbild-Realität von Star Trek, und damit das Dasein als Ganzes gerettet werden kann, müssen Picard und seine Freunde sich eben selbst opfern. Es ist kein Tod mehr gegen ihren Willen, sondern ein freiwilliges, heroisches Ende, in dem sie zugleich die Monstren von jenseits der Zeit mit sich reißen. Schmackhafter kann man Fans wohl die Zerstörung von zwanzig Jahren voller Geschichten und lieb gewonnener Figuren kaum machen.

Ich will hier nicht ins Detail gehen, aber tatsächlich ist die Erklärung für das, was passiert ist und was getan werden muss, bemerkenswert elegant gelungen. Selbstredend bedarf es dazu einer Zeit- und Dimensionsreise, aber das erledigen echte Sternenflotten-Crews ja mittlerweile nach ein paar flotten Kalkulationen beim Mittagessen. Und so verstreuen sich die Helden überall in Raum und Zeit, um zu tun, was getan werden muss, damit all ihr bisheriges Sein ungeschehen gemacht werden kann. Eine Mission von epischer Tragik.

Action und Abschiede

Was folgt, sind tatsächlich fast vierhundert Seiten Action und Abschiede. Mack hat sich hier selbst den Timer gesetzt. Zwei Tage bleiben Picard, Sisko, Spock und ihren Gefährten, bevor die Devidianer ihre Realität gewaltsam auslöschen und sich danach der Hauptzeitlinie zuwenden. Wenn sie diese verschlingen, hätte es Star Trek nie gegeben. Das muss um jeden Preis verhindert werden. Und der Preis ist hoch! In kurzen Szenen, die von Ort zu Ort, von Team zu Team springen, gelingt es Mack, die Spannung und den Druck fast durch die Bank aufrechtzuerhalten, wozu er aber auch mehr als reichlich Actionsequenzen nutzt. Es wird beinhart an allen Fronten gekämpft – und mit zunehmender Seitenzahl auch gestorben.

Doch Mack nimmt sich auch Zeit für kurze, bittersüße Charaktermomente. Ein letztes Mal dürfen sich unsere Helden sagen, was sie sich schon immer sagen wollten. Worf findet – erstaunlich, aber wahr – im Angesicht des Untergangs noch einmal die Liebe. Picard erleichtert sein Gewissen gegenüber Data. Data und Lal beweisen, dass sie als Androiden fast menschlicher sind als Menschen selbst. Luc Picard entdeckt seinen Vaterinstinkt, Kira erfüllt ihre Bestimmung, der zuletzt arg getriebene Julian Bashir kommt endlich zur Ruhe. Das sind schön gesetzte Kontrapunkte zur allgemeinen Zerstörungsorgie, wenngleich natürlich insgesamt kaum Zeit für Trauer und Wehmut bleibt.

Nett sind auch der ein oder andere Cameo von Figuren des LitVerse, die noch einmal „in die Kamera winken dürfen“. Wir begegnen ein letztes Mal Admiral Akaar und Präsidentin Kellessar zh’Tarash, besuchen ein letzten Mal die Brücke von Sonya Gomez’ Da Vinci (bekannt aus den Corps of Engineers-Romanen) und treffen ein letztes Mal namhafte Enterprise-E-Crewmitglieder wie Miranda Kadohata, Aneta Šmrhová oder Jasminder Choudhury – wenngleich in ihren Spiegel-Versionen. Auffällig abwesend bleiben Jake Sisko und Familie. Noch schwerer wiegt für mich aber, dass auch Mack das Versäumnis nicht ausbügelt, die Voyager-Crew in den epischen Endkampf einzubinden. Janeway, Chakotay, Seven, der Holo-Doc, Harry Kim und Co werden mit keiner Silbe erwähnt. Gewiss wäre es zu viel gewesen, sie auch noch irgendwie bedeutungsvoll in den Plot zu integrieren, aber ein Cameo hätte meines Erachtens drin sein müssen.

Ende und Anfang

Am Ende lässt Mack dann dem Melodram freien Lauf. Es wird unfassbar gelitten, in grausigem Takt gestorben, Zerstörung regiert allerorten. Manch ein Ende ist kaum mehr als Absatz, einfach weil keine Zeit mehr bleibt. Wäre die Handlung ein Film, würde es von der Leinwand krachen und donnern, dass es einem schier die Sinne raubt.

Aber man merkt auch: Mack selbst kann nicht loslassen. Während seine Helden mit erstaunlicher Opferbereitschaft ihre eigene Vernichtung in die Wege leiten, zögert er das Ende hinaus. Vor allem ganz am Schluss muss er noch einmal eine große Revue der Möglichkeiten, Niederlagen und Triumphe an uns vorbeiziehen lassen, die manch ein emotional erschöpfter Leser in diesem Moment als mühselig empfinden mag. Aber wie schon zu Beginn verstehe ich ihn auch hier. „This is the end.“ Es sind die letzten Seiten, die eine ganze Ära abschließen. Wie formuliert man die? Was will man nicht noch alles sagen, bevor der Vorhang fällt? Insofern kann ich diese dreidreißig (!) Seiten auch noch gönnen – den Abgesang, in dem, ganz zum Schluss, die hauchzarte Verbindung zum Neuanfang liegt. Bei aller Trauer ist das doch irgendwie schön.

Mein Fazit

Das Ende der Coda-Trilogie ist ebenso schrecklich wie schmerzhaft, ebenso elegant wie clever, ebenso wehmütig wie bittersüß. David Mack legt hier einen starken Abgang hin, indem es ihm gelingt, den bislang passiv erlebten Untergang in eine aktive Heldentat umzudeuten, das ultimative Opfer überhaupt. Gleichzeitig schafft er es, mit großem Personal und vielen Kampfschauplätzen den Druck auf die Figuren und die Spannung beim Leser auch über hunderte Seiten aufrechtzuerhalten. Die Action und Zerstörungswut ist natürlich exzessiv, aber es finden sich auch immer wieder wundervolle Gefühlsmomente eingestreut. Und am Ende weht eine kräftige Portion Wehmut durch die Seiten, an die sich ein Hauch von Hoffnung anschließt, dass die nächsten Abenteuer schon am Horizont warten. Und nichts wird jemals vergessen sein … Keine angenehme Lektüre – aber eine, die sich echte Fans des LitVerse nicht entgehen lassen sollten.

Star Trek – Coda 3: Tor des Vergessens von David Mack

Cross Cult 2022 / ISBN: 978-3-98666-009-3

624 S., Taschenbuch, deutsch

Preis: EUR 15,00

Informationen zum Redakteur

Perplies mittel

Bernd Perplies

Website: http://www.bernd-perplies.de
Facebook: https://www.facebook.com/bernd.perplies
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Bernd_Perplies

Bernd Perplies verbringt schon sein ganzes Leben mit Zwergen und Sturmtrupplern, Vampiren und Vulkaniern. Prägende Jugendjahre voller Abenteuer an der Seite von Perry Rhodan, Jean-Luc Picard, Gandalf und Luke Skywalker sorgten für eine Anhäufung unnützen Wissens über neue Welten, neues Leben und neue Zivilisationen fernab der Realität. Um dieses Wissen sinnvoll weiterverwerten zu können, entschied er sich für eine Laufbahn als Schriftsteller, Übersetzer und Journalist.

Seitdem hat er zahllose Artikel für die SpaceView, das Phantastika Magazin und Tor Online verfasst, rund 20 Star Trek-Romane (und ein bisschen Genre-Beifang links und rechts) übersetzt, etwa 1000 Seiten an Playmobil-Magazin-Comics ersonnen und annähernd 50 phantastische Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene geschrieben, darunter die Magierdämmerung-Trilogie, offizielle Beiträge zu Shadowrun und BattleTech, die Drachengasse 13-Reihe und Star Trek Prometheus, den Geburtstagsdreiteiler des Cross-Cult-Verlags zum 50-jährigen Jubiläum von Captain Kirk & Co.

Bernd Perplies lebt mit seiner Familie (und einer einzelnen tapferen Grünpflanze) unweit von Stuttgart in einem Labyrinth aus Billy-Regalen voller Bücher, Filme und Brettspiele.

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