Regelmäßig unregelmäßig stellen wir euch hier Star Trek-Episoden aus allen Serien vor, die wir aus unterschiedlichen Gründen herausragend finden und die sich unserer Ansicht nach für einen Rewatch eignen.
Dazu haben wir uns überlegt, euch immer die zugehörige Rezension aus einem unser Sachbücher aus der Reihe Die Star Trek-Chronik zu präsentieren, um euch einerseits den Mund auf die Folge wässrig zu machen und andererseits zu zeigen, was euch in unseren Werken erwartet. Vielleicht können wir ja euer Interesse für unsere Arbeit wecken? Wir würden uns sehr freuen.
Die Episode in dieser Woche ist In the Pale Moonlight (Im fahlen Mondlicht) aus der Serie Star Trek: Deep Space Nine. Die Rezension wurde in diesem Fall von Reinhard Prahl geschrieben und stammt aus Band #5 unserer Sachbuchreihe. Mehr Infos & einen Link zu den Büchern gibt es unten. Doch nun viel Spaß beim Lesen!
In the Pale Moonlight (Im fahlen Mondlicht)
Sisko bringt sich in eine moralische Zwickmühle und trifft eine Entscheidung, die das Wesen der gesamten Föderation infrage stellt. Das ist Star Trek at its best.
Inhalt
Benjamin Sisko sitzt in seinem Quartier und vertraut seinem persönlichen Logbuch an, welche schlimmen Taten er vollbrachte oder wissentlich in Kauf nahm, um die Romulaner als Verbündete im Dominionkrieg zu gewinnen. Dabei offenbaren sich Seiten an ihm, die er selbst nicht für möglich gehalten hätte und die sein Gewissen schwer belasten.
Ethik
In the Pale Moonlight beginnt mit einer für Benjamin Sisko ungewöhnlichen Situation. In seinem Quartier sitzend beginnt er einen Logbucheintrag, kann sich aber nicht daran erinnern, welcher Tag es ist. Warum ist der ansonsten so besonnene Captain so durcheinander? Die Antwort folgt auf dem Fuß: »Es ist erst zwei Wochen her. Ich sollte dringend darüber sprechen. Und ich muss das, was geschehen ist, rechtfertigen – schon vor mir selbst.«
Dieser kurze Monolog reicht aus, um zu erkennen, dass Sisko hier sozusagen als Angeklagter vor dem hohen Gericht des Publikums sitzt, um sich für eine Tat zu rechtfertigen, die nicht nur die Werte der Föderation in ihren Grundfesten erschüttert, sondern auch den gesamten utopischen Ansatz in Star Trek. Damit ist klar, dass die Episode erneut ethische Fragen großer Tragweite aufwirft.
Nachdem Sisko wochenlang Listen mit Gefallenen und Verletzten ausgehängt hat, sieht er nur noch einen Weg: die Romulaner als Verbündete auf die Seite der Föderation zu ziehen. Da diese aber einen Freundschafts- und Nichtsangriffspakt mit dem Dominion geschlossen haben, entscheidet er sich für einen großangelegten Betrug, den er gemeinsam mit Garak ausheckt. Dessen Skrupellosigkeit und Fähigkeit, Dinge zu tun, die Benjamin nicht nur in seiner Eigenschaft als Sternenflottenoffizier, sondern auch moralisch unmöglich sind, war schon des Öfteren Thema der Serie. Dass der Captain dadurch in einen seelischen Konflikt gerät, ist evident. Um diesen irgendwie abzumildern, entscheidet er sich für eine klassische Rechtfertigung: »Jeden Preis hätte ich bezahlt, alles hätte ich getan, denn ich wusste, es war eine gerechte Sache. Meine Absichten waren gut.«
Siskos Begründung steht damit im starken Widerspruch zu den Grundsätzen der weiter oben bereits angesprochenen deontologischen Ethik. Denn Benjamin stellt hier eine dem ebenfalls schon erwähnten Utilitarismus zuzurechnende Kosten-Nutzen-Rechnung auf. Mehr noch, er entscheidet sich, mit den Konsequenzen seiner Taten leben zu können, weil sie die Föderation retten: »Menschen sterben da draußen, und wir können es nicht verhindern. Ganze Welten kämpfen um ihre Freiheit, und hier bin ich und mache mir nach wie vor Gedanken über die Feinheiten der Moral. […] Den Krieg beenden, das Blutvergießen stoppen, das waren die gesetzten Prioritäten.«
Verhältnismäßigkeiten
Bisher ging der Captain allerdings noch davon aus, dass lediglich mittels eines gefälschten Datenstäbchens die Romulaner überzeugt werden sollten, auf der Seite der Föderation in den Krieg einzutreten. Man kann und darf sich an dieser Stelle aber trotzdem erneut die Frage nach der Verhältnismäßigkeit stellen. Auf der einen Seite der Waagschale werden durch den Einstieg als aktive Kriegspartei möglicherweise hunderttausende Romulaner ihr Leben verlieren. Andererseits erscheint die Alternative noch viel schlimmer: Das klingonische Reich und die Föderation gehen unter, womit das Dominion ungehindert Romulus ins Visier nehmen könnte. Das sind oberflächlich betrachtet gute Argumente, denen man allerdings entgegenhalten kann, dass sie eine unendliche Rechtfertigungsspirale für immer neue unmoralische Handlungsweisen nach sich ziehen können, solange die Gründe dafür gut genug erscheinen. Wie man sieht, vertragen sich der Utilitarismus (auch Konsequentialismus) und die Deontologie (Pflichtethik) nicht sonderlich gut. Denn die moralische Pflicht, schlechte Taten ungeachtet ihrer Konsequenzen grundsätzlich zu unterlassen, beißt sich mit der Idee, schlechte Taten in Kauf zu nehmen, wenn sie zum Nutzen einer möglichst großen Anzahl von Personen beitragen.
In die oben erwähnte Rechtfertigungsspirale gerät Sisko schließlich, weil Garak von Anfang an wusste, dass der Datenstäbchenbluff nicht funktionieren würde. Stattdessen schmiedete er, ganz Cardassianer, einen Plan im Plan, von dem Sisko nichts wusste und der diesen zunächst tief erschüttert. Garak lockte den – übrigens stark von Stephen McHattie gespielten – Senator Vreenak lediglich nach Deep Space 9, um eine Bombe in dessen Shuttle zu platzieren und ihn zu ermorden. Gleichfalls tötet er den von Sisko rekrutierten Fälscher Grathon Tolar. Sisko ist außer sich vor Zorn. Doch man muss sich fragen: Warum eigentlich? Schließlich war Benjamin, wie er selbst beteuert, bereit, ›jeden Preis‹ für den Erfolg seiner selbstauferlegten Mission zu zahlen. Zwar plagten ihn die ganze Zeit über Gewissensbisse, doch offensichtlich waren sie nicht schmerzhaft genug, um den mit guten Absichten gepflasterten Weg in die Hölle zu verlassen. Garak bemerkt deshalb folgerichtig: »Wenn Ihr Gewissen Ihnen Probleme bereitet, dann sollten Sie es mit dem Wissen besänftigen, dass Sie vielleicht gerade den gesamten Alpha-Quadranten gerettet haben und dass der Preis dafür lediglich das Leben eines romulanischen Senators, eines Kriminellen und die Selbstachtung eines Sternenflottenoffiziers war.«
Und Sisko erklärt dem Publikum kurze Zeit später: »Garak hatte recht. Ein schlechtes Gewissen ist ein geringer Preis für die absolute Sicherheit des Alpha-Quadranten.« Wenn dies aber wirklich so ist, warum quält Siskos Gewissen ihn dann so sehr, dass er es erleichtern muss? Genau solche Überlegungen zeichnen Deep Space Nine aus.
Wissenswertes
Siskos Tat erinnert in ihren Grundzügen an den sogenannten Tonkin-Zwischenfall, der sich am 4. August 1964 vor der Küste Nordvietnams zutrug. Die United States Navy behauptete, dass nordvietnamesische Schnellboote zwei US-Kriegsschiffe angegriffen hätten, woraufhin der Kongress die sogenannte Tonkin-Resolution beschloss. In Folge entsandte die USA bis 1975 insgesamt ca. 550000 Soldaten nach Vietnam, von denen 58000 starben. Die Vietnamesen hatten hingegen insgesamt rund drei Millionen Opfer zu beklagen.
Fazit
Abseits der großartigen Schauspielleistungen von Avery Brooks und Andrew Robinson, der grandiosen Regie von Victor Lobl und dem fabelhaft geschriebenen Drehbuch von Michael Taylor nach einer Story von Peter Allan Fields bietet In the Pale Moonlight eine unglaubliche und nachhaltige Tiefe. Das ist der Grund, warum die Episode bis heute sowohl in Fankreisen als auch in zahlreichen Fachaufsätzen in der Wissenschaftswelt nachhallt. Die Geschichte ist ein Paradebeispiel für tiefgehende philosophische Überlegungen, die – in ein unterhaltsames Format gepackt – ein großes Publikum erreichen und die Zuschauenden mit einem Kloß im Hals zurücklassen, der sich nicht so schnell wieder löst. Das ist Star Trek erster Güte!
Die Star Trek-Chronik #5: Star Trek: Deep Space Nine
Die Star Trek-Chronik im Verlag in Farbe und Bunt, die ausführlich durch die Entwicklung, Produktionsgeschichte und Nachwehen jeder einzelnen Star Trek-Produktion führt, geht mit der Serie auf der Raumstation Deep Space 9 in die fünfte Runde.
Die Autoren Björn Sülter (Es lebe Star Trek) sowie Reinhard Prahl (Es lebe Captain Future, Es lebe Firefly) und Thorsten Walch (Es lebe Star Wars, Es lebe Captain Future, Es lebe Firefly) haben es sich darin zur Aufgabe gemacht, alle Serien aus dem Trek-Universum intensiv zu beleuchten und jeder ein eigenes Buch zu schenken.
Der fünfte Band deckt die Abenteuer rund um die Abenteuer auf der Raumstation Deep Space 9 ab. Die Crew rund um Benjamin Sisko, Kira, Dr. Bashir, Dax, Odo, O’Brien und viele andere durchlebt darin nicht nur den Dominion-Krieg, sondern muss sich in insgesamt 176 Episoden und sieben Staffeln auch noch mit vielen anderen, spannenden Geschichten herumschlagen.
Neben einem Kapitel über die Entstehungs- und Produktionsphase sowie das Casting und die Macher, drehen sich weitere Features um die Aliens der neuen Serie, die Synchronisation sowie das weitere Leben der Show im Buchsektor. Abgerundet wird das Werk durch ausführliche Rezensionen der Autoren zu allen Episoden mit Einzelbesprechungen, Staffelfazits, zweiten Meinungen und vielen Fun Facts. Natürlich geht es auch um das Vermächtnis der Figuren über die Serie hinaus, das Element des horizontalen Erzählens oder den Wechsel von Raumschiff zu Raumstation. Obendrauf gibt es wie gewohnt Interviews mit Produktionsbeteiligten und Specials, die die Besonderheiten dieser Trek-Inkarnation würdigen. Die Star Trek-Chronik bringt alle Infos und Fakten zur Serie.
Das Buch gibt es, wie alle anderen Bände, überall dort, wo es gute Bücher gibt oder direkt beim Verlag im Shop. Natürlich versandkostenfrei.