„Das Problem ist die Erde. Auf der Erde gibt es keine Armut, kein Verbrechen, keinen Krieg. Sie sehen aus dem Fenster des Sternenflotten-Hauptquartiers und sehen das Paradies – es ist leicht ein Heiliger im Paradies zu sein.“ – Benjamin Sisko
Wenn man sich in der Welt so umsieht, muss man zu dem Schluss kommen, dass die größten Probleme und gewalttätigen Konflikte mit denen wir uns aktuell herumschlagen müssen vor allem eine Ursache haben: Nämlich ein immer weiter um sich greifender Nationalismus. Sehr viele Menschen rund um den Globus haben noch immer einen recht eingeschränkten Identifikationshorizont und begreifen sich vor allem als Amerikaner, Russen, Chinesen oder Europäer. Selbst das weltweit aufgetretene Corona-Virus, das sich um Staatsgrenzen ebenso wenig scherte wie um ethnische oder religiöse Unterschiede, konnte hier nicht wirklich zu einem Bewusstseinswandel beitragen.
Oder nehmen wir den Klimawandel, dessen Folgen alle Menschen auf unseren kleinen Planeten auf die eine oder andere Weise betreffen. Es wäre daher am Klügsten, wenn alle politischen Entscheidungsträger an einem Strang ziehen würden, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen, dessen Ursachen einzudämmen, bevor es zu spät ist.
Doch leider scheint selbst diese existenzielle Bedrohung für die gesamte Menschheit noch immer nicht auszureichen, um zu einer wirklich nachhaltigen Veränderung hin zu einem globalen Bewusstsein zu führen.
In der Star Trek-Zukunft ist dies anders, denn hier gibt es gar keine Nationalstaaten mehr, die miteinander in Konkurrenz stehen könnten. Stattdessen hat man sich zu einer Weltregierung zusammengeschlossen, die über den gesamten Planeten herrscht. Leider wurde in der Geschichte des Franchises nie näher erläutert wie diese genau organisiert und überhaupt entstanden ist. Sicher ist nur, dass ihre Existenz eine indirekte Folge des fast kompletten Zusammenbruchs unserer Zivilisation nach dem Dritten Weltkrieg Mitte des 21. Jahrhunderts und des ersten Kontakts mit den Vulkaniern ist, wie es im achten Kinofilm gezeigt wird. Hier wird also unterstellt, dass die uns bekannte Gesellschaftsordnung erst bis zum Rand der völligen Vernichtung negiert werden musste und erst der Kontakt mit einem vermeintlich fortgeschrittenen außerirdischen Volk zu einer geeinten Menschheit führte. Auch in der Wirklichkeit gab und gibt es tatsächlich esoterisch angehauchte Verschwörungstheoretiker, die glauben, unsere Zivilisation sei dem Untergang geweiht. Hinter dem Glauben an das bevorstehende Armageddon steht der Gedanke, die Weltgeschichte werde von verborgenen Mächten gelenkt, wie zum Beispiel den sogenannten Illuminaten, welche für alles Übel auf der Welt verantwortlich sind und alles daran setzen die globale Ordnung zu zerstören.
Doch es gibt Hoffnung: Manche selbsternannte Untergangspropheten rechnen fest damit, dass wir von gottgleichen Außerirdischen gerettet werden, die unsere Spezies in ein neues, goldenes Zeitalter führen werden – und das aus purer Menschenliebe. Es ist leicht, Menschen, die solche Voraussagen ernst nehmen, für Spinner zu halten. Aber vielleicht urteilen wir da etwas zu vorschnell. Haben wir alle nicht insgeheim den Wunsch, nach einfachen Lösungen für die komplizieren Probleme unserer Zeit?
Utopie vs. Dystopie
Man kann davon ausgehen, dass der im fiktiven 24. Jahrhundert existierende Weltstaat nach den Grundsätzen der Demokratie errichtet wurde, denn da es sich bei Star Trek nun mal vor allem um ein uramerikanisches Phänomen handelt, gingen die Macher wohl davon aus, die Demokratie amerikanischer Prägung stelle für alle Völker die erstrebenswerteste Staatsform dar, eine Einschätzung die übrigens durchaus auch von großen Geistern wie dem berühmten Philosophen Bertrand Russell geteilt wurde.
Und auch Denker wie Immanuel Kant, Friedrich Nietzsche und Albert Einstein sahen in der Abschaffung der Nationalstaaten den Königsweg hin zu einem globalen, nachhaltigen Frieden, wie er beispielhaft in Star Trek gezeigt wird.
Doch drängt sich die Frage auf, ob es in der Realität denkbar ist, dass ein solches politisches Gebilde auf Dauer funktionieren kann, ohne, dass die Gefahr besteht, sich über kurz oder lang in eine weltumspannende Diktatur zu verwandeln.
Genau hier liegt nämlich die große Schwäche einer solchen Utopie: Theoretisch könnten Teile der Erdbevölkerung mit den Beschlüssen und den Führungsstil der Regierung nicht einverstanden sein und sich dann einfach gegen sie stellen. Dann wären wir wieder in derselben Situation wie heute.
Und man kann auch nie ganz ausschließen, dass sich ein Alleinherrscher an die Spitze der Regierung drängt, der seine ganz eigenen Vorstellungen von Recht und Ordnung, dem Rest der Menschheit aufdrücken will, was dann wieder zu Konflikten führt. Der Traum von der schönen, neuen Welt könnte sich dann ganz schnell in einen echten Alptraum verwandeln. Und trotzdem werden diese Befürchtungen von der Hoffnung überstrahlt, unsere Spezies könnte durch eine Art gemeinsam gestaltete, demokratisch organisierte Weltpolitik, die größten Herausforderungen unserer Zukunft meistern.
Aber ist es wirklich möglich, dass der Mensch sich dadurch in ein grundsätzlich klügeres Wesen verwandeln kann, welches alle Probleme durch ein von der Vernunft diktiertes Handeln löst? Können politische Umwälzungen auch unsere menschliche Natur für immer zum Besseren verändern, so wie Kant es sich erhoffte?
Auch in der Star Trek-Welt gibt es ja nach wie vor Machtgier, Egoismus und kurzsichtiges Denken. Nur eben nicht mehr so sehr auf der Erde, sondern in den Weiten des Kosmos. Aber hier werden praktisch immer nur fremde Mächte wie die Romulaner, die Klingonen oder die Borg als Aggressoren dargestellt, jedoch praktisch nie der ach so weit fortgeschrittene Mensch. Jener Teil des Sci-Fi-Publikums, welches keinen Bezug zu Star Trek hat, fragt sich da sicherlich, ob Gene Roddenberrys Zukunftsvision hier nicht fast schon etwas zu blauäugig war. Natürlich sah er in Star Trek vor allem eine Analogie auf unsere reale Gegenwart und weniger einen wirklich ernst gemeinten Entwurf einer möglichen Zukunft. Aber da diese Vision von zahllosen Trek-Fans rund um den Globus auch als eben genau das angesehen wird, muss sie auch kritisch hinterfragt werden.
Der Weg zu einer besseren Menschheit
Der Mensch der Zukunft wurde nicht aus eigener Kraft zum „Advanced Human“. Vielmehr kam der Anstoß hin zu dieser Entwicklung wie bereits erwähnt durch den Kontakt mit den Vulkaniern zustande. Man stelle sich aber mal vor, was für Konsequenzen es gehabt hätte, wäre der erste Kontakt mit den Klingonen oder den Cardassianern erfolgt. Zweifellos wäre die historische Entwicklung dann in eine ganze andere, gegenteilige Richtung verlaufen. Die Menschen hatten das Glück, ausgerechnet von einer außerirdischen Rasse kontaktiert zu werden, die sich der Logik und der Vernunft und nicht der Eroberung anderer Welten verschrieben hat. Dies war der erste Schritt hin zu der paradiesischen Zukunft, weswegen man also sagen kann, dass die Vernunft die Welt zu verbessern den Menschen quasi von außen übergestülpt wurde und nicht aus ihnen selbst kam. Doch auch dies konnte nicht verhindern, dass die später gegründete Sternenflotte nach und nach immer selbstgefälliger wurde. Sie setzte ihre Interessen ohne Rücksicht auf Verluste durch und machte sich dadurch Feinde in der ganzen Galaxis, man denke nur an die Maquis, jene Terrorgruppe, die sich bildete, nachdem die Sternenflotte eigentlich friedliebende Kolonisten von ihren Heimatplaneten vertrieb, ohne sie um ihre Meinung zu fragen.
Oder man denke an die berüchtigte Sektion 31, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Föderation und ihre Bürger vor feindseligen, fremden Mächten zu beschützen und dabei selbst die Grenzen der Legalität überschritt.
Auch die Etablierung einer Weltregierung hat den Menschen somit nicht davor geschützt, sich anderen Völkern als moralisch überlegen zu begreifen. Hier sieht man einmal mehr eine Parallele zu unserer Realität. Vor allem die Amerikaner haben in der Vergangenheit ohne Rücksicht auf kulturelle Unterschiede versucht, andere Länder mit den Segnungen der Demokratie zu beglücken und schreckten dabei auch vor dem Einsatz von Waffengewalt nicht zurück; wie zum Beispiel im Irakkrieg.
Dahinter steckt der Glaube, dass auch andere Gesellschaften so sein wollen wie der westliche Teil unserer Welt, dass auch sie unsere Art zu leben früher oder später als die Bestmögliche betrachten.
Aber es ist doch sehr zu bezweifeln, dass unsere Welt wirklich ein besser Ort werden kann, wenn der Westen seine Werte anderen Kulturkreisen aufzuzwingen versucht. Eine der wichtigsten Botschaften des gesamten Star Trek-Franchises ist es doch, dass wir andere Kulturen so akzeptieren sollten wie sie sind, auch wenn sie sich noch so sehr von der unsrigen unterscheiden sollten, wie es beispielsweise bei den Ferengi der Fall ist. Doch gerade diese Fähigkeit zur gegenseitigen Akzeptanz ist in unserer heutigen Zeit im Schwinden begriffen. Und wir können uns nicht darauf verlassen, dass klügere Außerirdische zu uns kommen werden, um uns vor uns selbst zu retten und zu weiseren Menschen zu erziehen.
Wir werden wohl oder übel einen Weg finden müssen, aus eigener Kraft zusammenzufinden, zu einer echten Weltgemeinschaft im besten Sinne des Wortes zu werden, ohne, dass die verschiedenen Kulturen dabei ihre Identität verlieren. Dazu müssen wir nicht unbedingt gleich eine Weltregierung aufbauen. Es genügt, wenn wir bereits jetzt erkennen, was eigentlich offensichtlich ist: Dass wir nur einer lebenswerteren Zukunft entgegensehen können, wenn wir alle zusammenarbeiten und die Bewahrung des Lebens als wichtiger erachten als die Maximierung von Macht und Einfluss.
Und nur wenn wir den Glauben hinter uns gelassen haben, hinter allem Bösen in der Welt stünde eine einzige gemeinsame Ursache, können wir die wahren Ursachen erkennen: Unsere Gier nach Macht, unser Glaube an die Existenz ewiger Wahrheiten, unseren Wunsch nach einfachen Lösungen und unsere Neigung unsere jeweiligen Ansichten und Meinungen für die einzig richtigen zu halten.
Wir müssen keine Heiligen sein, müssen uns nicht erst zum Advanced Human entwickeln, um im hier und jetzt das Beste aus dem zu machen, was wir sind. Der Schlüssel hierzu liegt nicht in irgendeiner bestimmten Bewegung, Ideologie oder politischen Programm. Versuchen wir es doch zur Abwechslung einfach mal mit der guten alten, ganz normalen Menschlichkeit. Die Fähigkeit uns in andere hineinzuversetzen ist uns allen angeboren, das zeigen moderne psychologische Untersuchungen. Aber wenn wir vergessen, sie uns bis zu unseren Erwachsenenalter zu bewahren, wird unsere Zukunft düster aussehen. Wenn wir jedoch im unseren Herzen Kinder bleiben und uns um unsere Mitmenschen kümmern, dann kommen wir dem Advanced Human schneller näher als wir selbst denken …