Kolumne

Wir sind die Borg? Auf dem Weg zum Übermenschen

© Paramount

Sven Wedekin pfilosophiert über die Frage, inwieweit wir uns auf dem Weg zum borgähnlichen Übermenschen befinden.

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Ist es erstrebenswert, eine Borg-Drohne zu sein?

Die Meisten von uns würden diese Frage wahrscheinlich ohne zu zögern mit einem klaren Nein beantworten. Ihrer Individualität beraubt fristen die Borg ein Dasein als Sklaven des Kollektives. Sie denken nicht selbstständig, sondern sind nur Teil eines übergreifenden Bewusstseins, für das jede einzelne Drohne nur ein winziges Rädchen im Getriebe ist, welches jederzeit ersetzt werden kann.

Für uns Menschen, denen uns unsere geistige und körperliche Freiheit so wichtig ist, wäre eine solche Existenz sicherlich ein absoluter Albtraum. Und eben als genau das waren die Borg ja von Anfang an konzipiert: Als ein Volk, welches einem bösen Traum zu entstammen scheint, das bis ins Mark böse und gnadenloser ist als alle anderen Antagonisten im Star Trek-Universum.

Doch sie selbst halten sich ja keineswegs für bösartig. Vielmehr sehen sie ihre Lebensform als komplett mit der Technologie verschmolzene Wesen als perfekt an, was ja auch der Grund ist, warum sie ganze Zivilisationen ohne zu fragen in ihr Kollektiv assimilieren. In gewisser Weise glauben sie ernsthaft anderen Individuen einen Gefallen zu tun, wenn sie sie mit bio-mechanischen Komponenten ausstatten und ihnen ihre jeweiligen Persönlichkeiten nehmen. In mancher Hinsicht erinnern die Borg als Ganzes somit irgendwie an eine Art Sekte, welche die Grenzen, die die biologische Existenz mit sich bringt, durch den gezielten Einsatz der Technik hinter sich lassen will. Damit haben die Borg eine, zumindest aus ihrer eigenen Sichtweise, vollkommene Gesellschaftsform realisiert, die sogar den Tod besiegt hat.

Der Vergleich mit einem pseudo-religiösen Kult mag auf den ersten Blick zwar etwas gewagt erscheinen, zumal die Borg keine spirituelle Seite im engeren Sinn besitzen (auch wenn dies, wie wir in der Voyager-Episode Die Omega Direktive lernen doch nicht ganz stimmt), aber tatsächlich gibt es ja auch in unserer wirklichen Welt Menschen, die davon überzeugt sind, dass wir uns mit Hilfe allerlei technischer Tricks vervollkommenen können und dies auch tun sollten, um als Gesellschaft eine Zukunft zu haben. Diese Bestrebungen enthalten durchaus ein gewisses religiöses Element, steckt dahinter doch der Wunsch unsere, von der Biologie festgelegten Grenzen zu sprengen und dadurch praktisch zu Wesen zu werden, die gewissermaßen außerhalb der Natur stehen – ganz ähnlich wie es eben auch die Borg erstreben.

Eine schöne neue Welt?

Ein bekannter Name, der in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht ist Ray Kurzweil, der als Leiter für die technische Entwicklung bei Google tätig ist. Kurzweil ist einer der bekanntesten Vordenker des Transhumanismus, jener philosophisch-wissenschaftlichen Denkrichtung, deren Anhänger es sich zur Aufgabe gemacht haben zu erörtern, inwiefern man die geistigen und körperlichen Defizite unserer Spezies beheben und unsere natürlichen Potentiale erweitern kann.

Es ist zwar nicht bekannt, wie viele Befürworter transhumanistischer Ideen Star Trek-Fans sind, aber zumindest viele von Ray Kurzweils Prophezeiungen könnten genauso gut aus den Ideenfundus eines Science-Fiction Autors stammen. So glaubt der Amerikaner beispielsweise allen Ernstes, durch seine Forschungen bis spätestens zum Jahr 2050 den Tod besiegen und Menschen das ewige Leben schenken zu können. Im Silicon Valley laufen momentan von großen Tech-Unternehmen wie eben auch Google finanzierte Projekte, die das Ziel verfolgen die biologische Uhr in unseren Genen zum Stillstand zu bringen, so dass wir für immer jung oder wenigstens bis ins hohe Alter sowohl physisch als auch psychisch fit bleiben können.

Ferner wird daran geforscht, winzige Nanoroboter zu entwickeln, ähnlich den Naniten, die wir aus der TNG-Episode Die Macht der Naniten aus der dritten Staffel kennen. Jene Maschinen sollen klein genug sein, um in die Blutgefäße eines Menschen zu passen und dort beständig Reparaturen durchzuführen, also gleichsam eine Art künstliches Immunsystem bilden, wodurch Todesfälle, zum Beispiel durch Herzinfarkt oder Kreislauferkrankungen, in Zukunft verhindert werden können.

Außerdem wird daran gearbeitet, Behinderungen wie Blindheit, Querschnittslähmung oder fehlende Gliedmaßen durch künstliche Implantate zu „beheben“. Den Vogel schießt aber die Idee ab, sämtliche Erinnerungen und Charaktermerkmale einer sterbenden Person aus deren Gehirn auf einen Computerchip hochzuladen und somit eine Art digitale Unsterblichkeit zu erlangen.

All diese kühnen Zukunftsvisionen mögen auf den ein oder anderen von uns ziemlich abwegig erscheinen, und tatsächlich gibt es nicht wenige Kritiker, die den Transhumanismus für einen Irrweg halten, der der Menschheit Hoffnungen macht, die er unmöglich erfüllen kann. Und auch in ethischer Hinsicht gibt es viele Bedenken hinsichtlich der Frage, ob wir die Intelligenz und die Umsicht besitzen, all diese verheißungsvollen Technologien klug einzusetzen – falls sie denn überhaupt realisierbar sind. Ein völlig enthemmter Fortschritt könnte uns ja auch schneller als uns lieb ist in eine düstere Zukunft führen, in der wir völlig von der Technik abhängig sind und gar nicht mehr ohne sie leben können.

Es könnte gar bereits zu unseren Lebzeiten eine Situation eintreten, die sich niemand ernsthaft wünschen sollte, in der sich die Weiterentwicklung unserer Technik verselbstständigt und somit unserer Kontrolle entzieht. Forscher bezeichnen diesen Zustand als technische Singularität und befürchten, dass er noch in diesem Jahrhundert eintreten könnte, und die künftige Entwicklung der Menschheit für immer verändern wird.

Die Optimierung des Menschen

Doch zurück zu Star Trek: Im 23. bzw. 24. Jahrhundert hat sich die Gesellschaft ja schon in eine Richtung entwickelt, in der sie so sehr von aus heutiger Sicht futuristischen Erfindungen abhängig ist, dass sie ohne sie nicht mehr existieren kann. Es ist eben diese Technik, welche die utopische Welt, in der unsere Helden von der Enterprise leben überhaupt erst möglich macht. Viele von uns halten die Welt von Star Trek für sehr viel lebenswerter als die reale Welt unserer Gegenwart. Doch hat dies eben auch eine Schattenseite, die in den verschiedenen Inkarnationen des Franchise leider bisher noch eher wenig beleuchtet wurde, nämlich dass der Mensch sich eben viel zu sehr von den Segnungen der Technologie abhängig gemacht hat.

Als Beispiel sei Geordi LaForges VISOR genannt: Dieses Gerät ist der Traum eines jeden Transhumanisten, verkörpert es doch eben jene Verbesserung des Körpers auf die sie hinarbeiten. Dank des VISORs stellte Geordis Behinderung für ihn kein Hindernis mehr dar, um bei der Sternenflotte Karriere zu machen und seiner Arbeit als Chefingenieur der Enterprise nachzugehen. Doch muss man festhalten, dass hiermit bereits der erste Schritt hin zu einer „borgifizierung“ des Menschen gemacht wurde. Denn der VISOR ist ja in der Tat ein künstliches Implantat, dass dem menschlichen Auge in mancher Hinsicht überlegen ist. So fragt Data Captain Picard in der Episode Wem gehört Data aus Staffel zwei rhetorisch, und nicht zu Unrecht, warum sich nicht alle Menschen freiwillig einen VISOR anlegen. Die Antwort liegt auf der Hand: Kein Mensch würde ohne wirklich zwingenden Grund seine echten Augen gegen künstliche tauschen wollen, egal wie überlegen diese auch sein mögen.

Doch anderseits ist es ja eben so, dass sehr viele Arbeiten, die in unserer Realität von Menschen erledigt werden in der Star Trek Zukunft auf Computer und Roboter übertragen wurden, da diese inzwischen so hoch entwickelt sind, dass sie dazu problemlos in der Lage sind.

Diese extreme Abhängigkeit von künstlichen Intelligenzen stellt eben einen eher negativen Aspekt der vermeintlich so perfekten neuen Welt der Zukunft dar. Ohne sich dessen bewusst zu sein, ist der Mensch des 24. Jahrhunderts den Borg so wohl doch schon ähnlicher als ihm lieb sein kann. Natürlich ist die Verschmelzung mit der Technik für ihn noch nicht annähernd so weit fortgeschritten wie bei den Borg, doch lässt sich eben nicht bestreiten, dass in Star Trek eine Zukunft skizziert wird, die einerseits für den Menschen komfortabler ist, ihn aber anderseits in eine Abhängigkeit von seinen eigenen Erfindungen gebracht hat, die ihm das Leben bequemer machten.  

Wer hat die Kontrolle?

Fairerweise darf man aber nicht vergessen, dass es eine ganze Anzahl von Star Trek-Folgen gibt, welche die Überlegenheit des menschlichen Geistes über die kalte Maschinenlogik postulieren, man denke nur an die TOS-Episode Computer M-5 aus der zweiten Staffel, in der eine Amoklaufende KI für den Tod mehrerer Menschen verantwortlich ist. Captain Kirk rettet die Situation, indem er die Logik der Programmierung  des Computers gegen sie selbst anwendet und sie sich so selbst außer Gefecht setzen lässt. Doch wahrscheinlich ist es zu optimistisch zu erwarten, dass wir Menschen der von uns erschaffenen KI bis ins 23. Jahrhundert tatsächlich noch überlegen sein werden.

In den meisten Science-Fiction-Geschichten, auch außerhalb des Star Trek-Franchises, wird eine Zukunft gezeigt, in der der Mensch sich körperlich mehr oder weniger gar nicht verändert hat, während die Umwelt um ihn herum sich hingegen in jeder Hinsicht von unserer Gegenwart unterscheidet. Doch sollten die Transhumanisten mit ihren Visionen recht behalten, wird die wirkliche Zukunft vollkommen anders aussehen: Unsere Spezies wird sich dann nämlich selbst schon sehr bald bis zur Unkenntlichkeit transformiert haben, hin in eine Richtung, in der wir den Borg sehr viel ähnlicher sein werden als den Männern und Frauen der Sternenflotte im 23. Jahrhundert.

Diese Aussicht wird von den Meisten von uns wohl zu recht als ziemlich beunruhigend angesehen, aber wir müssen uns damit abfinden, dass sie vielleicht nicht aufzuhalten sein wird. So oder so werden wir nach und nach immer mehr mit der Technik verschmelzen, ob uns das gefällt oder nicht.

Was für Konsequenzen dies für unser Zusammenleben auf diesen Planeten haben wird, lässt sich jetzt noch kaum voraussehen. Sicher ist nur, dass sie unser aller Vorstellungskraft überschreiten werden. Die Welt der Zukunft wird sich sehr viel stärker von unserer Gegenwart unterscheiden als die Autoren von Star Trek es sich ausmalten. Die spannende Frage wird sein, ob dies mit einer Entmenschlichung der Gesellschaft einhergehen wird. Werden wir es schaffen, uns unsere Individualität zu bewahren, oder werden auch wir eines gar nicht mehr allzu fernen Tages zu den Sklaven der von uns selbst geschaffenen elektronischen Diener?

Leider gibt es schon heute Anzeichen dafür, dass die zweite Möglichkeit real werden könnte, denn schon jetzt sind wir Menschen des 21. Jahrhunderts auf die Erfindungen, die uns das Leben erleichtern auf bedenkliche Weise angewiesen. Man stelle sich nur mal vor, das Internet würde auf der ganzen Welt für längere Zeit ausfallen. Innerhalb weniger Tage würde der Handel mit Rohstoffen, Industriegütern und Nahrungsmitteln zusammenbrechen, die globale Kommunikation würde nicht mehr funktionieren und auch die Stromversorgung wäre nicht mehr gesichert. Unsere moderne Zivilisation funktioniert, so wie wir sie kennen, nur noch dank der weltweiten Datennetze. Ein beunruhigender Gedanke, wenn man bedenkt, dass es das Internet ja erst seit wenigen Jahrzehnten gibt.

So müssen wir uns der Einsicht beugen, schon sehr viel mehr von unserer Unabhängigkeit an die Technik verloren zu haben als vielen von uns bewusst ist.

Wenn sich diese Entwicklung weiter fortsetzt – und es gibt im Moment keine Anzeichen dafür, dass dies nicht der Fall sein wird – könnten sich unsere fernen Nachfahren also tatsächlich in kybernetische Cyborgs verwandelt haben, die zumindest körperlich so gar nichts mit den Männern und Frauen von der Sternenflotte gemein haben, geschweige denn mit uns. Sie werden Übermenschen sein, die sich selbst und auch die Welt um sich herum mit ganz anderen Augen sehen werden als wir. All die Nöte und Sorgen mit denen wir Heutigen uns herumplagen werden für sie irrelevant sein, denn sie werden sie selbst gar nicht mehr haben. Doch ob eine solche Metamorphose unserer Spezies erstrebenswert ist und ob wir sie überhaupt werden stoppen oder wenigstens verlangsamen können sind zwei ganz verschiedene Fragen. Doch da unsere Freiheit als Individuen auf den Spiel steht, tun wir gut daran, uns schon heute mit ihnen zu beschäftigen …

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