Es wächst und wächst: Das Marvel Cinematic Universe besetzt derzeit zehn Plätze in der Top 30 der erfolgreichsten Filme der Kinogeschichte (ohne Berücksichtigung der Inflation). Und nicht nur die Kinokassen werden zum Klingeln gebracht: Mit einer Vielzahl an Serien agieren die Marvel Studios auch als einer der Erfolgstreiber von Disney+.
Aber wie lange kann ein solches Mammutprojekt durchpowern, bevor es vom Schicksal der realen Mammuts eingeholt wird? Die Antwort auf diese Frage fiel zuletzt uneindeutig aus: Phase IV, die sich von Black Widow bis Black Panther: Wakanda Forever erstreckte, ließ trotz Pandemie-Bremse die Kasse stärker klingeln als noch Phase II. Für die Einen ist das ein Erfolg – nach Avengers || Endgame, der fast wie ein Finale agierte, ist die Blase nicht geplatzt.
Die Marvel Studios fangen nicht erneut von vorne an, sondern setzen dort an, wo sie vor Phase III waren, dem euphorischen Sprint zur (Etappen-)Zielgeraden. Für die Anderen ist es eine Bankrotterklärung, ist doch nur unablässiges Wachstum zufriedenstellend. Entsprechend unterschiedlich sind die Erwartungen an Ant-Man and the Wasp: Quantumania, den dritten Ant-Man-Solofilm und Auftakt zu Phase V des MCU:
Wer Phase IV als Schlingern wahrnahm, mit dem ein Erfolgsfranchise seine Position als Popkultur-Platzhirsch riskiert, wartet auf eine Kampfansage. Auf eine Rückkehr zu alter Form. Machen wir es kurz. Ant-Man and the Wasp: Quantumania ist nicht für dieses Publikum gemacht.
Selbst wenn das Marketing den Auftaktfilm zu Phase V als Beginn dramatischer Wendungen im MCU-Gesamtplot markiert: Ant-Man and the Wasp: Quantumania offenbart, dass Produzent Kevin Feige das MCU nicht wie ein unter Erfolgsdruck stehender Rekordmeister-Trainer leitet, der nach zwei unentschieden geendeten Heimatspielen in den Krisenmodus wechselt.
Feiges Mentalität lässt sich eher mit Daniel Radcliffe vergleichen, der Post-Harry Potter einen feuchten Kehricht darauf gibt, seinen früheren Erfolg zu replizieren, und stattdessen feist grinsend seine Ehrenrunden dreht. Das MCU wächst in Vielfalt, indem es nun von Film zu Film immer speziellere, kleinere Geschmäcker abzuholen versucht.
Der Plot: Großes Abenteuer-Gewusel in der Quantenebene
Scott Lang (Paul Rudd) genießt sein Leben: Vom Ex-Knacki und gefeuerten Eiscafé-Mitarbeiter hat er es zum Avenger geschafft. Er hat sogar einen Buchdeal! Eines wurmt ihn allerdings: Seine Tocher Cassie (Kathryn Newton) ist zur Rebellin herangewachsen. Scott fürchtet, als Vater versagt zu haben, und reagiert völlig ungläubig, als er erkennt, dass seine Partnerin Hope Van Dyne (Evangeline Lilly) und ihr erfinderischer Vater Hank Pym (Michael Douglas) Cassie sogar in ihrem Handeln ermuntern.
Auch Hopes Mutter Janet (Michelle Pfeiffer) ist schockiert. Denn Hope, Hank und Cassie entwickelten ein neues Gerät, um mit der Quantenebene zu kommunizieren, aus der Janet vor Jahren gerettet wurde. Janet, die sich über ihre dortige Erfahrungen ausschweigt, wittert riesige Gefahr – und wird prompt in ihrer Befürchtung bestätigt. Denn der Pym-Lang-Van-Dyne-Clan wird ruckartig in die Quantenebene gesogen…
Was folgt, ist randvoll mit schrägen Designs, gewollt albernen Figuren und einem ständigen Gehusche von A nach B nach C zurück nach B und dann nach D. Es ist Marvels rund zweistündige Antwort auf Frank-Frazetta-Illustrationen, tonnenweise B-Movie-Fantasy-Abenteuer der 1950er und 1960er wie Die Reise zum Mittelpunkt der Erde sowie auf Star Wars-Trittbrettfahrerfilme der späten 1970er und frühen 1980er wie Flash Gordon. Und eine Prise John Carter ist auch drin.
Es gibt eine pampige Kriegerin mit Gesichtsbemalung, einen lebenden Glibberklumpen, der von Löchern besessen ist, giftgelbe und kaminrote Horizonte, staubige Klippen und leergefegte Metallpaläste. Sowie einen echt behämmerten Dickschädel, auf dem die Kamera jedes Mal in Irrglauben verharrt, als würde sie sich darin suhlen, wie dämlich er ist. Größenverhältnisse ändern sich unentwegt (schließlich ist dies ein Film über den Schrumpfhelden Ant-Man) und Revolutionen werden angezettelt. All das erzählt in der freundlichen Tonalität einer 90er-Jahre-Familienkomödie mit Steve Martin oder Robin Williams.
Denn während Regisseur Peyton Reed seiner Liebe zu ramschiger Genrefiktion freien Lauf lässt, blickt Drehbuchautor Jeff Loveness auf freundlich-muntere Filme voller Situationskomik, in denen besorgte Chaos-Männer vorgeführt bekommen, dass sie sich zu viele Sorgen machen. Ant-Man and the Wasp: Quantumania macht nahezu nichts, was noch nie dagewesen ist, rührt aber seine Zutaten in einer sehr exzentrischen Kombination zusammen.
Hier der freundlich-knuffelige Wortwitz eines Paul Rudd und das großäugig-galante Rebellentum einer Kathryn Newton. Dort ein Michael Douglas, der mit stutziger Würde und Selbstverständlichkeit den Unfug um ihn herum aussteht. Und da Michelle Pfeiffer als große Dame, die ihre Actionszenen aus dem Ärmel schüttelt, als sei sie ein 50er-Jahre-Star, der vom Studio gezwungen wird, zwischen zwei Prestigedramen einen Abenteuerfilm zu quetschen, und sich nicht anmerken lassen will, wie viel Spaß er ihr macht.
All das, nicht etwa, um mit aller Macht die MCU-Mythologie voran zu schieben, sondern um dieser heroischen Familie durch Trubel zu Komfort zu verhelfen: Beim Kampf auf Freiheit, Leben und Tod in der Quantenebene wird Scott damit konfrontiert, dass seine Tochter Dinge bei ihm abgeguckt hat, die ihn positiv ausmachen – selbst wenn sie achtlos wirken. Sie fordert ihn heraus, sich treu zu bleiben, statt abzuheben. Hank und Janet lernen, über ihre Zeit der ungewollten Trennung zu sprechen. Und Hope… wird vom Skript mitgeschleppt.
Es ist an der Zeit, sich von der Sehnsucht nach dem Schritt für Schritt als solchen erkennbaren Marvel-Masterplan zu verabschieden und den Ritt zu genießen: Das Marvel Cinematic Universe erlaubt es, Figuren, Dinge und Orte in einem Film oder in einer Serie kennenzulernen und unerwarteterweise in einer anderen Produktion wiederzusehen. Und ab und zu gibt’s in dieser filmischen Nachbarschaft, in der niemand die Haustür abschließt, halt ein Straßenfest inklusive Klopperei.
Kann man das akzeptieren, gibt sich Ant-Man and the Wasp: Quantumania als Familienausflug mit dem Pym-Lang-Van-Dyne-Clan zu erkennen. Einer, mit dem Beziehungen geflickt werden sollen, der aber unter Peyton Reeds Regieführung im knackigen Tempo zum gewollt rumpeligen Sci-Fi-Abenteuer-Irrwitz wird.
Was im Quantengewusel verloren geht
So kurzweilig das Getümmel, so charismatisch die Figuren sind: Ant-Man and the Wasp: Quantumania gerät gelegentlich ins Straucheln, was den Sehgenuss zwischendurch ausbremst. Beispielsweise sind die verschiedenen Schauplätze innerhalb der Quantenebene zwar als wildes Sammelsurium an Sci-Fi- und Fantasy-Ästhetiken kauzig-interessant gestaltet. Jedoch erwecken nur wenige von ihnen wahrhaftig zum Leben: Wiederholt werden die Hauptfiguren direkt mittendrin in sie hinein geschleudert, ohne dass sich der Film die Zeit nimmt, die Schauplätze zu etablieren.
Für einen Film über die skurril-erstaunliche Vielfalt der Quantenebene gibt es erstaunlich wenige Totale, die es uns gestatten, die Schauplätze räumlich zu begreifen und über sie zu staunen. Auch die Dialogszenen sind oftmals beengend inszeniert und ohne Rhythmus geschnitten.
Dass die Marvel Studios aufgrund ihres gefragten Starensembles zunehmend Probleme haben, die Terminpläne ihrer Stars zu koordinieren, ist ein offenes Geheimnis. Und durch die pandemiebedingten Reise- und Arbeitsbeschränkungen, die zuletzt aufkamen, ist es noch schwerer geworden, alle Beteiligten gleichzeitig in einen Raum zu bekommen. Jedoch gelang es beispielsweise den Verantwortlichen hinter Spider-Man: No Way Home und Doctor Strange in the Multiverse of Madness besser, die Illusion aufrecht zu erhalten.
In Ant-Man and the Wasp: Quantumania dagegen sind einige Dialogsequenzen in einer starren, unnatürlichen Schuss-Gegenschuss-Konstellation konstruiert. Die sich vermeintlich gegenüber sitzenden Figuren wirken völlig isoliert, was ihren verbalen Rapport hemmt. Dank des natürlichen Charmes des Casts sprühen trotzdem komödiantische Funken, wenn etwa Hank vor Eifersucht kocht, wann immer Hope Einblicke in ihre Quantenebenenvergangenheit gewährt, oder Cassie ihrem Vater verbal den Spiegel vorhält. Aber die Schmissigkeit von Ant-Man and the Wasp und Ant-Man wird nicht erreicht.
Ebenso bekommt Jonathan Majors erneut vom ihm gebotenen Material ein Beinchen gestellt: In Loki spielte er „Jenen, der bleibt“, und musste einen minutenlangen, behäbigen Expositionsmonolog halten, der als Ausblick auf kommende Bedrohungen im Marvel Cinematic Universe diente. In Ant-Man and the Wasp: Quantumania darf er als alternative Version derselben Figur obendrein seine Muskeln spielen lassen und mit schwerer körperlicher Präsenz die ihm gegenüber stehenden Heldinnen und Helden einschüchtern. Aber allzu viel Persönlichkeit hat seine megalomanische Figur wieder nicht.
Loveness und Reed ist deutlich mehr daran gelegen, Spaß mit dem Gewusel auf der Quantenebene zu haben und sich um die Dynamiken zwischen Scott, Hank, Janet und Cassie zu sorgen, als Majors’ Muskelpaket Kontur zu verleihen. Der baldige Creed III-Fiesling müht sich ab, seiner Marvel-Rolle mit traurigem Blick eine zusätzliche Dimension zu verleihen, trotzdem ist er (noch) weit davon entfernt, sich zum Mittelpunkt des Interesses im MCU aufzuschwingen.
Anders als vom Marketing angedeutet, legt es Ant-Man and the Wasp: Quantumania jedoch nicht darauf an: Es geht nicht um die Marvel-Zukunft, sondern darum, dass Scotts Attitüde zwischen ihm und seiner Tochter steht. Es sind Scotts Versuche, dazuzulernen, die amüsieren sollen, und sämtliche durch das eigene Ego und Jonathan Majors’ physische Wucht forcierten Rückschläge, die für Spannung sorgen. Was davon für spätere MCU-Titel von Relevanz ist, soll die Sorge von morgen sein.