Andere Welten

Arrival – grandioses Meisterwerk oder Pseudowissenschaft?

Szene aus dem Film "Arrival"

Wir blicken zurück auf einen Film, an dem sich die Geister scheiden. Ist “Arrival” nun Meisterwerk oder doch Quatsch?

© Paramount

Arrival galt in seinem Entstehungsjahr 2016 als Stern am Himmel der Genre-Verfilmungen, wurde aber auch für seinen laxen Umgang mit der Wissenschaft kritisiert. Doch was ist der Film nun: grandioses Meisterwerk oder geprägt von pseudowissenschaftlichem ›Geschwafel‹? Wir blicken zurück.

Das geschieht

Eines Morgens landen zwölf mysteriöse Raumschiffe in unterschiedlichen Regionen überall auf der Welt, eines davon im US-Bundesstaat Montana. Niemand weiß, woher sie kamen, oder was der Zweck ihres Auftauchens ist. Schnell findet die Presse einen Namen für die vierhundertfünfzig Meter hohen, schwarzen Objekte: »Muscheln«. Erste Kontaktaufnahmen verlaufen jedoch erfolglos. Um eine um sich greifende Panik einzudämmen, beauftragt das Militär unter Führung von Colonel Weber die Linguistin Dr. Louise Banks und den Mathematiker Ian Donnelly, sich den unverständlichen Denkstrukturen der Außerirdischen zu nähern.

In Montana angekommen begeben sich die beiden Wissenschaftler als Leiter eines jeweils eigenen Teams an die Arbeit. Alle achtzehn Stunden stellen die Aliens in ihrem Schiff einen Druckausgleich her und sorgen für atembare Atmosphäre. So ist es den Teams möglich, Kontaktversuche zu wagen. Der erste Anblick der riesigen, Kraken-ähnlichen Wesen ist erschütternd. Zwei von ihnen, von Banks und Donnelly scherzhaft »Abott« und »Costello« genannt, erscheinen täglich hinter einer großen, transparenten Wand, um die Kommunikation zwischen den so unterschiedlichen Spezies voranzutreiben.

Die ersten Versuche verlaufen ernüchternd, bis Dr. Banks sich der Sache aus rein linguistischen Gesichtspunkten nähert. Mit Stift und Tafel bewaffnet gelingt es ihr, den Außerirdischen die Grundformen des Englischen zu erläutern und entlockt ihnen erste Schriftzeichen. Im Laufe der nächsten Tage wächst das gegenseitige Verständnis, bis »Abott« eines Tages ein Logogramm mit der Bedeutung »Waffe schenken« schreibt. Von nun an überschlagen sich die Ereignisse. Der Kontakt zwischen den zwölf besuchten Nationen bricht ab und jedes Land versucht, für sich den größten Vorteil aus der Situation zu schlagen. Die Eskalation scheint unabwendbar.

Neue Bahnen

Egal, was man von der Prämisse in Arrival hält, der Film ist ohne Frage eines der ungewöhnlichsten Science-Fiction-Werke der letzten Jahre. Eigenwillig strukturiert nähert er sich seinem Publikum auf zwei Ebenen ohne große Effekthascherei. Der Streifen basiert auf der Kurzgeschichte Story of Your Life (1999) des US-amerikanischen Schriftstellers Ted Chiang, der in Deutschland durch seine beiden Anthologien Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes und Das wahre Wesen der Dinge bekannt geworden ist. In der auf der Blu-ray enthaltenen Dokumentation Xenolinguistik: Arrival verstehen beschreibt Chiang seine Liebe zum Genre:»Für mich geht es bei Science-Fiction nicht um Spezialeffekte oder große Schlachten zwischen den Kräften des Guten und Bösen. Science-Fiction will durch die Linse spekulativer Szenarien das menschliche Wesen ergründen.«

Im Grunde ist es diese Essenz, die Regisseur Denis Villeneuve und Drehbuchautor Eric Heisserer so denkwürdig herausgearbeitet haben.

Philosophische Ansätze

Die aufkommenden Fragen sind ebenso anregend, wie essentiell. So fragt die Figur der Dr. Louise Banks nicht zufällig am Ende des rund 116 Minuten langen Werks: „Wenn Du weißt, dass Dein Kind sterben wird, würdest Du es dann immer noch bekommen?“ Diese sehr konkrete und bedrückende Frage lässt sich sehr leicht auf eigene Bedürfnisse zuschneiden und erweitern. Was wäre, wenn Du nicht mehr lange zu leben hättest und es wüsstest? Wie würde Dein Leben von nun an verlaufen? Derartige Themen berühren das Innerste unsere Seele und lösen gar ein Gefühl des Unbehagens, vielleicht sogar Angst in uns aus.

Diese, allerdings für viele Menschen sehr reale Situation lässt sich wiederum auf die Frage unserer Wahrnehmung von Zeit an sich ausweiten. Für uns Menschen ist Zeit ein linearer Begriff, der sich in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gliedert. Doch trifft diese Einschätzung zu? Die oben erwähnten Personengruppen können ihre Zukunft, oder das Ende derselben, sehr wohl voraussehen. Dieser Blickwinkel ermöglicht also einen Perspektivwechsel und beeinflusst natürlich die Entscheidungen in der Gegenwart. Das entspricht durchaus der Einstein’schen Wahrnehmung des Zeitphänomens, der die uns vertrauten Strukturen für eine große Illusion hielt. Der große Physiker nahm Zeit mehr als einen großen Block wahr, in dem sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sozusagen als gleichberechtigte und ›gleichzeitige‹ Partner gegenüberstehen. So ähnlich ist es auch in Arrival.

Kommunikation ist alles

Neben dieser interessanten Betrachtungsweise offeriert uns der Streifen aber noch einen weiteren Grundgedanken. Was wären wir Menschen ohne die Möglichkeit der komplexen verbalen Kommunikation? Um sich dieser für den Film so wichtigen Frage zu nähern, wurde eigens die Linguistin Jessica Coon an Bord geholt, die dem Skript Impulse für die wichtigen Sequenzen der Annäherung geben konnte.

Die Art, wie sich Banks und Donnely der von allen menschlichen Konzepten so unterschiedlichen Sprache und Schrift nähern, ist daher durchaus nachvollziehbar und sorgt für ungeahnte Spannungsmomente. Die Art des Umgangs mit Sprache an sich ist eine der erregendsten Erfahrungen in diesem großartigen Streifen. Tatsächlich arbeitete das Filmteam monatelang an einer Idee, die aber insgesamt zu vertraut wirkte. Schließlich orientierte man sich am Abwehrmechanismus von Tintenfischen und führte eine sinnvolle Sprache auf Logogrammbasis ein (Logogramme sind Schriftsystemzeichen, die nicht alphabetisch funktionieren, sondern eher Silben oder Wortteile darstellen).

Auch diese Idee wurde nicht ohne Hintergrundgedanken etabliert. Denn genauso schwierig, wie die Verständigung der so unterschiedlichen Spezies, gestaltet sich auch die der menschlichen Völker. Im Verlauf der Geschichte bricht der Kontakt der betroffenen Regionen und Nationen ab und Misstrauen nimmt den Platz der vertrauensvollen Zusammenarbeit ein. Es droht eine Eskalation, wie wir sie derzeit auf unserem Planeten leider tatsächlich miterleben müssen.

Auch daraus ergeben sich spannende Fragen. Wenn wir nicht einmal in der Lage sind, mit unserem Umfeld zu kommunizieren, wie sollen wir dann ein Verständnis für das große Ganze erlangen? Wenn wir die Beweggründe unseres türkischen, afrikanischen oder asiatischen Nachbarn nicht nachvollziehen können und nicht bereit sind, in den Diskurs zu treten, wie soll dann ein friedliches Miteinander funktionieren? Auch dies sind essenzielle Fragen, denen sich Arrival unter Zuhilfenahme des ausgearbeiteten Science-Fiction-Szenarios nähert.

Allerdings wurde der Film bereits kurz nach seinem Erscheinen für die Verwendung von in der Fachwelt stark kritisierten linguistischen Theorien aufs Korn genommen. Als Basis diente den Filmemachern unter anderem die sogenannte Sapir-Whorf-Hypothese, die davon ausgeht, dass die Sprache das Denken beeinflusst. Demnach könnten Menschen, um es stark vereinfacht auszudrücken, ihre Erfahrungen anders wahrnehmen, weil sie nicht dieselbe Sprache sprechen.

Deshalb urteilte beispielsweise Thomas Grüter in seiner Rezension auf Spektrum.de, dass man von wissenschaftlicher Seite her nicht allzu viel erwarten sollte. Dieser Einschätzung ist insofern zu widersprechen, als dass es sich Arrival niemals zur Aufgabe gemacht hat, Wissen zu vermitteln, sondern eine geistesphilosophische Studie über essenzielle humanistische (im Sinne von Streben nach Menschlichkeit) Fragestellungen anstrebt.

Unterhaltungswerte

Zum großen Vergnügen des Zuschauers sind die oben genannten Themen also durchaus relevant und darüber hinaus in keiner Weise trocken verpackt. Mit Amy Adams (u. a. Man of Steel) traf man eine hervorragende Wahl. Adams stellt die verletzliche Seite ihrer Figur gefühlvoll dar, arbeitet aber auch ihren unglaublichen Mut und die nahezu unstillbare Neugierde heraus, die Dr. Louise Banks auszeichnet. Sie ist der wahrhaft starke Charakter, die sich ihrer Zukunft nicht verweigert, obwohl sie weiß, welchen Schmerz sie ihr bringen wird.

Unterstützt wird sie hervorragend vom US-Amerikaner Jeremy Renner, der Fans eher aus seinen Auftritten in der Mission Impossible-Reihe oder als Hawk in den derzeit so beliebten Marvel’ s Avengers-Filmen ein Begriff sein dürfte. Hier zeigt er, dass er das genaue Gegenteil eines Actionhelden sein kann und sich problemlos einer weiblichen Hauptfigur unterordnet und sie auf beste Weise unterstützt.

Über Forrest Whitaker muss an dieser Stelle wohl nicht viel gesagt werden. Seine über vierzig Auszeichnungen, darunter der Oscar, der Golden Globe und der British Academy Film Award, sprechen eine deutliche Sprache in Bezug auf seine Schauspielkunst. Colonel Weber präsentiert er als einen Soldaten, der sein Bestes gibt, um eine Eskalation zu vermeiden. Militärisch unkonventionell lässt er den beiden Wissenschaftlern freie Hand, um einen Kontakt herzustellen und den Grund der Ankunft der Aliens zu erfahren. Letztlich hat er aber doch keine andere Wahl, als den Befehlen seiner Vorgesetzten zu gehorchen.

Sparsame Kunst

Auf das Thema Spezialeffekte soll an dieser Stelle nicht sehr detailliert eingegangen werden. Sie unterstützen den Film, tragen ihn aber nicht, was in der heutigen Zeit ein durchaus erfrischender Ansatz ist. Statt zahlreicher Aufnahmen vor dem Green Screen setzte Regisseur Dennis Villeneuve mehr auf reale Sets. So ist der Tunnel, der zur großen transparenten Wand führt, hinter dem »Abott« und »Costello« agieren, tatsächlich in voller Länge gebaut worden.

Wesentlich interessanter als derartige Details ist in diesem Fall der organische Score von Jóhann Jóhannson. Obwohl sich der Sound oft sphärisch, fast mystisch ausnimmt, arbeitete der isländische Komponist hier, wenn möglich, mit echten Instrumenten. So wurden etwa Klaviertöne in sechszehn Spuren auf einem Magnetband übereinandergelegt, Chöre, anstatt elektronische Stimmen verwendet und so weiter. Zusammen mit der fantastischen Kameraarbeit, die eine herbstliche, bedrückende Stimmung erzeugt und teils wundervolle Bilder liefert, sind die Anklänge an das Arthousekino hier nicht zu verleugnen.

Fazit

Aus einer rein wissenschaftlichen Perspektive heraus kann und darf man an Arrival eine ganze Menge kritisieren. Doch bleibt zu bedenken, dass die Xenolinguistik in diesem Film im Grunde genommen nur als Aufhänger für die tiefsinnigen Fragen dient, die das Werk stellt. Genau das ist es, was Science-Fiction letztlich tun sollte: Ein fantastisches Szenario erschaffen, um in ihm das Wesen der Menschheit zu diskutieren, ganz so, wie Ted Chiang es in der oben erwähnten Dokumentation sagt. Und das macht Arrival großartig.

Das Szenario ist packend, das Setting mitreißend, die schauspielerischen Leistungen bewegen sich auf höchstem Niveau und die Kamera- und Schnittführung sind grandios. Zusammen mit dem ungewöhnlichen Score von Jóhann Jóhannson ergibt sich so ein Film, der zweifelsfrei zu den großen Genre-Werken der letzten 20 Jahre gezählt werden darf, trotz kleiner inhaltlicher Schwächen.

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