Was ist los?
30 Jahre sind vergangen, seit eine Umweltkatastrophe unbekannter Herkunft ein Sumpfgebiet in den USA kontaminierte und den gesamten Landstrich mit einem seltsamen, Schimmer genannten Schild umgab. Die Geheimorganisation Southern Reach wurde mit der Untersuchung des Phänomens beauftragt. Elf Expeditionsteams wurden entsandt, niemand kehrte zurück. Zum Verschwinden der Teilnehmer gibt es zwei Theorien: Entweder wurden sie von etwas getötet, oder sie wurden wahnsinnig und töteten sich gegenseitig.
Um der Wahrheit endlich auf den Grund zu gehen, wird ein aus Wissenschaftlerinnen zusammengestelltes Team gebildet, dem auch die Biologin Lena angehört, die ihren Mann vor einem Jahr an den Schimmer verloren hat. Zu fünft begeben sich die mutigen Frauen in die Zone, doch schon nach wenigen Tagen wird klar, dass nicht jede von ihnen ihr Ziel erreichen wird. Denn hinter dem Vorhang des Schimmers entfaltet sich ein Phänomen, das weder zu verstehen, noch wirklich erforschbar ist. Und doch drängen sie vorwärts, immer tiefer in die mysteriöse Area X hinein.
Wider dem Mainstream
Nachdem sich Warner Brothers 2014 mit Interstellar und Sony Pictures 2016 mit Arrival an Stoffe wagten, die sich abseits des Mainstreams bewegen, überraschte Paramount 2018 mit dem 40 Millionen Dollar Science-Fiction-Drama Auslöschung auf angenehme Weise. Abseits von den die Kinos überflutenden Space Operas, Invasions- und Superhelden-Movies konzentrierte sich Regisseur und Drehbuchautor Alex Garland (28 Days Later, Dredd, Ex Machina) darauf, dem Zuschauer Kino mit wundervoll in Szene gesetzten Arthouseanklängen zu bieten.
Die tiefen und teilweise schönen Bilder boten dabei den Rahmen für einen narrativ hochklassigen Film, der auf dem ersten Band der Annihilation-Trilogie von Jeff VanderMeer basiert. Abgesehen von seinem literarischen Vorbild nimmt das Werk allerdings recht klar Bezug auf einige der größten Science-Fiction-Titel der Filmgeschichte. So erinnert die Area X wahrscheinlich nicht ganz zufällig an Andrei Tarkowskis Zone in Stalker. Die Erzählstruktur, unterteilt in mit Überschriften versehenen Akten, lässt dagegen Erinnerungen an 2001 – Odyssee im Welttraum aufkommen.
Seelen(s)trip
Doch auch inhaltlich sind durchaus Parallelen feststellbar. Das Eindringen in die vom Schimmer umgebene Zone, in der seltsame Phänomene vorherrschen, bietet den weiblichen Hauptfiguren die Gelegenheit zu einem Trip in ihr Innerstes. Dabei offenbaren sich dem Publikum die sehr unterschiedlichen Motivationen der Protagonistinnen für diese Reise ins Unbekannte. Ob es dabei um die Suche nach Wahrheit oder die des eigenen Selbstverständnisses geht, dem Wunsch, einmal im Leben etwas wahrhaft Großes zu leisten oder auch nur darum, zu vergessen: Jede der Heldinnen hat ihr Päckchen zu tragen.
Gerade dieser Background macht die Zusammenstellung des Teams erst möglich. Denn vielleicht begibt man sich auf eine Expedition ohne Wiederkehr. Retrospektiven, die sich auf die Hauptfigur Lena (Oscar-verdächtig von Natalie Portman verkörpert) beziehen, durchziehen dabei die teilweise schönen, manchmal aber auch gruseligen Szenen. Gerade diese sind es, die uns einen tieferen Einblick in unsere eigene Menschlichkeit – unsere Leidenschaften, Wünsche, Stärken, Schwächen und unser Gewissen – gewähren.
Die Frage nach dem Warum
Anders als im großen russischen Vorbild, werden die sich auf die Figuren konzentrierenden Passagen von einigen, dem Horrorgenre entliehenen, Schockmomenten durchbrochen. Diese passen aber hervorragend in das Gesamtkonstrukt und bilden einen spannenden Kontrast zu den notwendigen Ruhephasen. So versinkt Annihilation weder in den verquerten Gefühlswelten seiner Figuren, noch lässt er die Spannungsmomente Oberhand gewinnen. Das Ergebnis ist eine intelligente Mischung, die auf der einen Seite so positiv verkopft wie Arrival wirkt, auf der anderen Seite aber auch einen gewissen Unterhaltungswert nicht vermissen lässt.
Um unnötige Spoiler zu vermeiden, verzichten wir an dieser Stelle auf eine Analyse der narrativen Inhalte weitestgehend. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass uns Alex Garland am Ende mit einer Liste von offenen Fragen zurücklässt. Wird die Frage nach der Herkunft der Area X noch direkt zu Beginn beantwortet, bleibt andererseits vollkommen im Dunkeln, warum sich Menschen und Tiere auf die Art verändern, wie sie es tun. Was ist also die Intention dessen – oder desjenigen – der für die Vorgänge in der Zone verantwortlich zeichnet? Geht es darum, zu lernen?
Um ein tieferes Verständnis der menschlichen Psyche? Der Wunsch nach einer Umstrukturierung im eigenen Sinne? Oder nichts davon und wir werden schlicht Zeuge des Instinktes, sich fortzupflanzen und zu entwickeln? Ist die Erde gar von einer Invasion betroffen? War die eingangs angedeutete Katastrophe gar keine, sondern ein gezielter Angriff? Oder die Erkundungsmission einer außerirdischen Spezies? Klare Antworten gibt uns das Drehbuch nicht. Es gibt weder ein Happy End, noch überhaupt einen wirklichen Abschluss. Der Film entlässt seine Zuschauer lediglich mit dem Wissen, dass – was auch immer – noch nicht vorbei ist. Dies ist eine erfrischende Herangehensweise an einen Stoff, der in all dem Mainstream Raum zum Nachdenken, spekulieren und philosophieren schafft.
Der Cast
Abgesehen von den oben diskutierten Stärken trägt ein fantastischer Cast zum weiteren Gelingen bei. Wie bereits angedeutet, könnte Natalie Portman mit ihrem Auftritt als Lena durchaus ihren zweiten Oscar, oder zumindest ihre vierte Nominierung einheimsen. Die mehrfach für ihre Leistungen im Independent-Film Bereich ausgezeichnete Jennifer Jason Leigh glänzt als undurchsichtige Exeditionsleiterin Dr. Ventress und auch die nicht ganz so hoch dekorierten Sonoya Mizuno (Ex Machina), Gina Rodriguez und Tessa Thomson lassen keinen Zweifel an ihren schauspielerischen Fähigkeiten aufkommen.
Ein weiteres Highlight bildet der US-Amerikaner Oscar Isaac, Fans aus Filmen wie Ex Machina, Star Wars: Das Erwachen der Macht, X-Men: Apocalypse oder Star Wars: Die letzten Jedi ein Begriff. Ihnen allen ist die Freude anzumerken, in einem außergewöhnlichen Film mitzuwirken, der leider bisher insgesamt nur 43 Millionen Dollar einspielen konnte. Andererseits hat sich Paramount, wahrscheinlich in weiser Voraussicht, entschieden, den internationalen Vertrieb an den Streamingdienst Netflix zu verkaufen, was das Bild der Gesamteinnahmen stark verzerrt.
Fazit
Auslöschung hebt sich wohltuend vom Four-Quadrant-Kino ab, das die Lichtspielhäuser überflutet und bietet, ähnlich wie Arrival oder Interstellar, Stoff für eine nachhaltige Betrachtung. Obwohl der Streifen erheblich von seiner literarischen Vorlage abweicht, wäre ein zweiter Teil durchaus wünschenswert gewesen.
Die Chancen dafür scheinen nach über drei Jahren allerdings leider gegen Null zu tendieren, auch wenn die Hoffnung zuletzt stirbt. Doch so oder sei bleibt ein Film, der eine nähere Betrachtung wert ist.
LESETIPPS!
Der Journalist und Autor Reinhard Prahl ist abseits seiner Arbeit für Planet Trek unter anderem auch als Autor von Sachbüchern sehr aktiv. Seine aktuellen Publikationen sind:
- Es lebe Firefly (bereits erschienen, Link führt in den Verlagsshop)
- Die Star-Trek-Chronik #3 (erscheint Dezember 2022, Link führt in den Verlagsshop)