Andere Welten

Bücherecke: Alex White: Star Trek – Deep Space Nine: Wiedergänger

© Cross Cult

Bernd Perplies begleitet Jadzia Dax in den Urlaub und erlebt an ihrer Seite ein komplexes Abenteuer auf der Heimatwelt der Trill.

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Die Trill. Eine wirklich faszinierende Spezies im Star Trek-Universum. Auf der einen Seite haben wir den Symbionten, eine wurmartige Spezies, die zwar langlebig ist, aber für sich selbst praktisch nichts kann, außer in mit milchig weißem Schlamm gefüllten Becken in Höhlen auf dem Planeten Trill herumzuschwimmen. Zum Glück gibt es auf der anderen Seite noch die menschenähnlichen Bewohner des Planeten, die eine praktische Bauchtasche aufweisen und liebend gern eine Vereinigung mit dem Symbionten eingeben, der mit ihnen eine körperliche und geistige Verschmelzung eingeht, die dem Wirt auf der einen Seite seine Individualität lässt, ihm auf der anderen Seite aber auch Fähigkeiten und Wissen des Symbionten zur Verfügung stellt. Dass der Symbiont dabei im Laufe von Jahrzehnten und Jahrhunderten von Wirt zu Wirt wechselt und mal als Mann, mal als Frau lebt, mal als Dichter, mal als Politikerin, mal als Wissenschaftler, macht ihn dabei unglaublich reich an Erfahrungen – und auf der Meta-Ebene die Trill an sich zugleich zu einer Spezies mit fließendem Gender-Konzept (und das zu einer Zeit, wo noch niemand darüber groß nachdachte). Denn auch wenn kein Fan Jadzia Dax in Deep Space Nine je für etwas anderes als eine Frau gehalten hätte, stecken doch auch gleich mehrere Männer-Identitäten in ihr.

Nicht zuletzt dieser Umstand dürfte Alex White, selbst eine Autorenperson zwischen den Geschlechtern, gereizt haben, Jadzia Dax und die Trill in einem Roman in den Fokus zu rücken. Um Geschlechter-Rollen oder -Identitäten geht es dabei in „Wiedergänger“ allerdings kaum. Dennoch steckt in Whites Geschichte, in dem tatsächlich nicht weniger als die Gesellschaft der Trill auf dem Spiel steht, eine spürbare Agenda, die sich vor allem gegen Institutionen der Macht und – eine Ebene tiefer – Männer, die sich Macht über Frauen herausnehmen, wendet. Im Speziellen geht es dabei gegen die Symbiosekommission auf Trill, die „selbstherrlich“ entscheidet, wer einen Symbionten bekommt (also de facto in die gesellschaftliche Elite aufgenommen wird) und wer nicht. Außerdem werden Curzon Dax und Joran Dax kritisch in den Blick genommen, Vorgänger von Jadzia. So hat Curzon, ein herausragender Diplomat, aber auch Frauenheld, seine Macht missbraucht, indem er Jadzia aus dem Symbiontenprogramm geworfen hat, weil er in Wahrheit nicht mit seinen Gefühlen für sie umgehen konnte. Und Joran, der unfassbar arrogante Künstler, der zum Mörder wurde, versucht immer wieder, Jadzia seinem Willen zu unterwerfen. Von beiden muss sie sich im Laufe des Romans emanzipieren.

Intrigen auf Trill

Aber nochmal einen Schritt zurück. Die Geschichte ist 2372, also zu Beginn der vierten Staffel Deep Space Nine, angesiedelt. Sie beginnt damit, dass ein alter, väterlicher Freund von Jadzia nach Deep Space 9 kommt und sie bittet, nach seiner Enkelin Nemi zu schauen, mit der Jadzia vor Jahren auf Trill befreundet war, die sie aber dann aus den Augen verloren hat. Obwohl sich Jadzia anfangs sträubt, weil sie das Gefühl hat, ein kontrollsüchtiger alter Mann wolle die aufkommende Unabhängigkeit einer jungen Frau nicht akzeptieren, geht sie der Sache doch nach, wofür sie Urlaub nimmt, denn natürlich ist das keine offizielle Sternenflotten-Untersuchung (das wird ihr zwischenzeitlich noch mehrfach Hindernisse in den Weg legen). Als sie Nemi – vergleichsweise schnell – wiederfindet, muss sie feststellen, dass sich die junge Frau völlig verändert hat. Sie wirkt kalt und abweisend und ist umgeben von seltsamen Freunden. Man könnte denken, dass Nemi einer Sekte verfallen ist. Doch die Wahrheit ist sehr viel unheimlicher und finsterer und basiert auf einer sehr interessanten Grundfrage: Sind eigentlich alle Symbionten zufrieden damit, sich bloß im Bauch von irgendeinem Wirt herumtragen zu lassen?

Jadzias Ermittlungen in der Frage, was mit Nemi passiert ist, führen sie bald auf ihre Heimatwelt Trill – und wie alle Star Trek-Autoren nutzt auch White die Gelegenheit gut aus, um Themen, die in der TV-Serie nur angeschnitten wurden, noch einmal deutlicher zur Sprache zu bringen und zu behandeln. Dazu zählt nicht zuletzt die Stellung und die Macht der Symbiosekommission, die das Leben auf Trill gewissermaßen beherrscht und dabei durchaus fragwürdige Entscheidungen trifft. Dazu zählt auch, wie schon erwähnt, Jadzias Beziehung zu Curzon, dessen Verfehlungen in der TV-Serie, speziell der Episode 3×25 Facetten, nur mit sehr mildem und am Schluss versöhnlichem Blick behandelt wurden. White lässt ihn nicht so leicht vom Wickel und schreibt auch Jadzia ein sehr viel stärkeres Gefühl des Zorns, missbraucht worden zu sein, in den Charakter als man es bisher kannte.

Fragwürdige und gute Freunde

Eine besondere Rolle spielt auch der Mörder Joran. In der TV-Episode 3×04 Das Equilibrium wurde er bereits wesentlich als Wirt von Dax etabliert, der psychisch instabil war, aber unbedingt vereinigt werden wollte und dafür auch nicht vor Mord zurückschreckte. Am Ende nimmt ihn Dax dennoch beinahe mildtätig „in ihre Arme“ und in den Kreis der Dax-Symbionten auf. Damit war White offensichtlich nicht zufrieden, weswegen Joran hier nicht nur diverse Horror-Auftritte hinlegt, die direkt aus Nightmare on Elm Street stammen könnten, sondern auch einen sehr umfangreichen Rückblick spendiert bekommt, den Dax während einer unheimlichen Nahtod-Zeremonie erlebt und der Joran einen ebenso tragischen wie intensiven Hintergrund verleiht. Nicht zuletzt spannend ist dabei die Frage, wie sich eine Vereinigung wirklich auf die Psyche und Individualität der Trill auswirkt. Was einen als Leser an diesem Handlungsteil etwas stören könnte, ist der Umstand, dass Jadzia echt lange auf dem Schlauch steht, bevor sie begreift, dass Joran etwas von ihr will. Zugegebenermaßen formuliert er diesen Wunsch auch nicht sehr geschickt.

Dass Jadzia bei all dem – der Verschwörung rund um Nemi, dem Ärger mit der Symbiosekommission und den mentalen Angriffen von Joran – irgendwann der Verzweiflung nahe ist, verwundert kaum. Dieses Gefühl nutzt White, um ihr Verstärkung von Deep Space 9 zu schicken – der Roman soll ja auch keine reine One-Woman-Show sein. Zuerst darf Kira, die sich mehrfach als echte Freundin erweist, an Jadzias Seite auf Trill ermitteln. Später, wenn die Action zunimmt, werden Worf – hier als starker Krieger inszeniert, der aber in Jadzias Gegenwart auffällig weich wird – und Doktor Bashir ins Feld geworfen. Sie alle erfüllen ihre Rollen gekonnt und treffend charakterisiert, während sich die Gefahr für Trill Stück für Stück entfaltet und Jadzia sich dabei in mehr als einer Hinsicht ihrer Vergangenheit stellen muss. Gegen Schluss geht es dann gleich mehrfach ordentlich rund, sodass Jadzia letztlich geradezu froh ist, als ihr „Urlaub“ endlich vorbei ist.

Noch ein Wort der Kritik

Auch wenn Whites Roman ein sehr spannendes Thema hat, die Hauptfiguren wie Jadzia, Kira oder Worf gut charakterisiert wirken und insgesamt wirklich gute Unterhaltung geboten wird, hat er natürlich auch ein paar Schwächen im Detail. Dass Curzon (und auch Joran) durchaus abweichend zur TV-Serie erzählt werden, habe ich schon erwähnt. Dazu kommen immer mal wieder kleinere Logikfehler, die allerdings eher in die Kategorie „Erbsenzählerei“ fallen. Was mich am meisten gestört hat, ist, dass es just bei der Antagonistin einen Informationsmangel gibt. Hier fehlt eine Szene der Erklärung – unter all den sonstigen Rückblicken –, die deutlicher macht, wie sie wurde, wer sie wurde. Ohne zu spoilern kann ich leider nicht deutlicher werden. Dazu gesellen sich ein, zwei Szenen, in denen die Antagonistin und auch sonstige Anwesende doch etwas zu sehr nach Hollywood-Bösewicht-Schema agieren. Einmal beispielsweise kommt es zu einem mehrfachen Mord an Wachleuten, den Jadzia hätte verhindern können. Sie tut es aber nicht, sondern schaut bloß zu, damit wir als Lesende fassungslos über die Macht und Brutalität der Antagonistin sein können. Das ist nicht eben sehr sternenflottig, selbst im Urlaub nicht.

Das Fazit

Wer Deep Space Nine mochte – und vielleicht speziell ein Fan von Jadzia Dax ist –, wird diesen Roman lieben, ungeachtet einiger eher marginaler Abzüge in der B-Note. Alex White taucht tief in das Seelenleben und die Vergangenheit von Jadzia ein. Außerdem werden die Gesellschaft der Trill im Allgemeinen und alles rund um Vereinigungen mit den Symbionten im Besonderen in interessanten Details betrachtet. Auch wenn das Abenteuer an sich natürlich während der TV-Serie angesiedelt ist und daher kein echtes Echo dort hinterlassen darf, fühlt es sich dennoch nicht beliebig an, sondern durchaus bedeutungsvoll für die Figur der Jadzia. Puristen könnte es stören, dass ihre Beziehungen zu Curzon und Joran extremer als in der TV-Serie beschrieben werden. Hier spürt man Whites Wunsch, (Macht)Missbrauch auch klar zu benennen, statt ihn durch (zu) schnelle Versöhnung kleinzureden. Wenn man bedenkt, wie positiv Jadzia in der Serie oft über Curzon spricht, steht das dennoch in einem gewissen Widerspruch. Aber das ist nur eine Kleinigkeit in diesem insgesamt intensiven und lesenswerten Star Trek-Abenteuer.

Star Trek – Deep Space Nine: Wiedergänger von Alex White

Cross Cult 2024 / ISBN: 978-3-98666-420-6

432 S., Taschenbuch, deutsch

Preis: 16,00 EUR

Informationen zum Redakteur

Perplies mittel

Bernd Perplies

Website: http://www.bernd-perplies.de
Facebook: https://www.facebook.com/bernd.perplies
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Bernd_Perplies

Bernd Perplies verbringt schon sein ganzes Leben mit Zwergen und Sturmtrupplern, Vampiren und Vulkaniern. Prägende Jugendjahre voller Abenteuer an der Seite von Perry Rhodan, Jean-Luc Picard, Gandalf und Luke Skywalker sorgten für eine Anhäufung unnützen Wissens über neue Welten, neues Leben und neue Zivilisationen fernab der Realität. Um dieses Wissen sinnvoll weiterverwerten zu können, entschied er sich für eine Laufbahn als Schriftsteller, Übersetzer und Journalist.

Seitdem hat er zahllose Artikel für die SpaceView, das Phantastika Magazin und Tor Online verfasst, rund 20 Star Trek-Romane (und ein bisschen Genre-Beifang links und rechts) übersetzt, etwa 1000 Seiten an Playmobil-Magazin-Comics ersonnen und annähernd 50 phantastische Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene geschrieben, darunter die Magierdämmerung-Trilogie, offizielle Beiträge zu Shadowrun und BattleTech, die Drachengasse 13-Reihe und Star Trek Prometheus, den Geburtstagsdreiteiler des Cross-Cult-Verlags zum 50-jährigen Jubiläum von Captain Kirk & Co.

Bernd Perplies lebt mit seiner Familie (und einer einzelnen tapferen Grünpflanze) unweit von Stuttgart in einem Labyrinth aus Billy-Regalen voller Bücher, Filme und Brettspiele.

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