Andere Welten

Gravity – Ein Fest für die Sinne

© Warner

Unser Reinhard Prahl blickt zurück auf den wunderbaren SF-Film “Gravity” von 2013.

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Das passiert

Das Spaceshuttle Explorer befindet sich mit drei Besatzungsmitgliedern, Commander Matt Kowalski und der Missionsspezialistin Dr. Ryan Stone im Orbit der Erde, um Einstellungen am Hubbleteleskop durchzuführen. Sie führen ihren Auftrag seit einer Woche ohne Zwischenfälle aus, als plötzlich ein Funkspruch vom Mission Control Center in Huston eintrifft, der die Astronauten vor einem Trümmerregen warnt, der durch eine schiefgelaufene Sprengung eines chinesischen Satelliten entstand.

Dieser bewegt sich mit 80000 km/h auf das Shuttle zu. Wenige Minuten später werden die Explorer und das Hubble-Teleskop schwer getroffen. Das Shuttle wird zerstört, die beiden an Bord verbliebenen Astronauten sterben genauso, wie der Stone und Kowalski begleitende Mission Specialist.

Ryan wird vom Haltearm getrennt und driftet hilflos in die Schwärze des Alls ab, während Matt es unverletzt schafft, sich zu stablisieren. Da der Funkkontakt zur Erde abgebrochen ist, macht er sich auf, seine Kollegin zu retten. Es gelingt, doch schnell wird klar, dass es nur eine Chance gibt, zur Erde zurückzukehren: die beiden im Orbit Gestrandeten müssen die ISS erreichen, um dort mit einer Soyuz Kapsel die notwendigen Notprozeduren einzuleiten. Doch ihnen bleiben nur 90 Minuten Zeit, denn dann erreicht sie der um die Erde kreisende Trümmerregen erneut.

Ein echter Blockbuster

Science-Fiction hat im Kino Hochkonjunktur. Was einst als eine Nische für abgedrehte Freaks erschien, ist heute dank CGI und modernster computergesteuerter Apparaturen längst massentauglich geworden. Viele der im Kino gezeigten Filme sind dabei keineswegs schlecht, aber letztlich eben doch Blockbuster ohne wirkliche Innovationen, und Tiefe. Doch wie immer gibt es natürlich auch Ausnahmen, die absolut sehenswert sind. In der letzten Zeit waren es unter anderem Arrival, Edge of Tomorrow, die Batman-Trilogie, oder auch Gravitiy, die mit außergewöhnlichen Ideen punkteten.

Der zurecht mit sieben Oscars ausgezeichnete Titel ist dabei vielleicht zusammen mit dem oben erwähnten Arrival der eindrücklichste der oben erwähnten Streifen. Um den Film zu verwirklichen, tüftelten Regisseur Alfonso Cuarón, Kameramann Emmanual Lubezki und der Visual-Effects-Supervisor Tim Webber von Framestore zusammen mit einem riesigen Team von Spezialisten an neuen Techniken, um einen Film zu realisieren, den es bis dato in dieser Form noch nicht gegeben hatte.

Eine neue Kabeltechnologie, von Roboterarmen gesteuerte Kamerafahrten- und aufnahmen, von Cuarón Motion Control 2.0 genannt, noch nie dagewesene Beleuchtungstechniken und ein vollkommen neues Konzept namens Lichtbox mussten entwickelt werden, um Curaóns Traum des Kampfes im Nichts um Leben, Tod und Wiedergeburt zu realisieren.

Durch und durch beeindruckend

Herausgekommen ist ein überaus beeindruckendes Werk, das den Zuschauer sehr schnell in den Bann zieht. Gerade zu Beginn fühlt man sich oft an eine der vielen Dokumentationen über Raumfahrt erinnert, wie sie häufig im Fernsehen zu sehen sind. Und obwohl bereits nach ca. 15 Minuten klar wird, dass wir es in Gravity bestenfalls mit „Pseudorealismus“ zu tun haben, bleiben die eindrücklichen und großartig fotografierten Bilder stets glaubhaft.

Der Planet Erde wird als dritte Hauptfigur, vielleicht sogar als Hauptthema des Films begriffen, bleibt fast über die gesamten 90 Minuten sowohl als Gegenstand der Beleuchtung, aber auch Bezugspunkt und letztlich als Rettungsanker fast omnipräsent. Das eigentliche dramatische Geschehen des Films spielt sich immer im Fokus unserer Heimatwelt ab.

Kamerarbeit: top

Weiter ins Geschehen zieht uns der häufig personalisierte Blickwinkel der Kamera. Wir schauen durch das Visier der Hauptfigur Dr. Ryan Stone, erleben, wie sich das Licht dort widerspiegelt, sehen die elektronischen Anzeigen an der Seite. Dies ist nicht ganz neu. Bereits in Europareport wurde dieses quasidokumentarische Stilelement eingesetzt, um sowohl die Intensität, aber auch die Glaubwürdigkeit zu erhöhen.

Was dort so hervorragend funktioniert, wird in Gravitiy allerdings akzentuierter, aber dennoch nicht minder eindrucksvoll eingesetzt. Auf die Spitze getrieben wird diese Idee, als es durch die misslungene Sprengung eines chinesischen Satelliten zur Katastrophe kommt. Ryan wird von ihrem letzten irdischen Bezugspunkt, dem Spaceshuttle Explorer, getrennt und driftet in wilden, unkontrollierbaren Bewegungen in die Schwärze des Alls ab.

Hier kommt die neuartige Motion-Control 2.0 Technologie zum Einsatz, die uns es dank innovativer neuer Techniken und 3D erlaubt, selbst zum Spielball des Alls zu werden. Lange Kameraeinstellungen in Form von Großaufnahmen und Totalen ermöglichen uns den Blick von innen und außen und erzeugen so die perfekte Illusion.

Ein Score wie von einer anderen Welt

Man könnte noch seitenlang weiter von der beeindruckenden Optik des Films schwärmen, doch würde man so den weiteren tollen Komponenten kaum gerecht. Eine davon ist die grandiose Filmmusik von Steven Price. Dies ist umso überraschender, als dass sich Price zuvor kaum einen Namen als Filmkomponist gemacht hatte.

Zwar wirkte er als Editor an großen Produktionen wie Der Herr der Ringe mit, doch vor Gravitiy hatte er lediglich die Musik zu einigen Fernsehfilmen verfasst. Dafür schlugen seine Kompositionen für Cuaróns Meisterwerk gleich richtig ein und wurden vollkommen zurecht mit einem Oscar belohnt. Zwischen leisen, gefühlvoll die Stille des Alls repräsentierenden Elektroklängen bis hin zu mächtigen dramatischen orchestralen Kompositionen reicht die musikalische Bandbreite.

Dabei wird Price nie zu laut, nie zu fordernd und legt ein Gefühl für den Augenblick zutage, dass ihm mancher vielleicht so nicht zugetraut hatte. Es lohnt also absolut, während des Schauens genauer hinzuhören. Vor allem zum Ende hin, als sich der Film immer mehr in seinen Metaphern von Leben, Tod und Wiedergeburt zu verlieren droht, ja, fast schon überzieht, ist es vor allem auch der die Sequenz begleitenden gefühlvollen Passage zu verdanken, dass dies nicht geschieht.

Story? Gibt es!

Am Ende der Retrospektive soll noch ein wenig auf die an sich schlichte und geradlinige Geschichte eingegangen werden, die allerdings durchaus philosophische Schnittmengen aufweist. Dr. Ryan hat einen schweren Verlust zu verkraften, der ihr den Lebensmut nahm. Das Einzige, was sie aufrecht erhält, ist ihre Arbeit. Dem gegenüber steht der lebenslustige, nur für den Augenblick lebende Kowalski, wohl nicht zufällig eine Art Allerweltsname, der schon 1984 bei Roland Emmerichs Stargate auftauchte und nicht zuletzt einer der vier Pinguine aus dem Animationsabenteuer Madagaskar ist.

Der Name selbst ist zu einer Art Metapher für eine Person geworden, die das Leben nicht allzu schwer nimmt, aber dennoch pflichtbewusst ist. George Clooney füllt diese Rolle auf seine smarte, attraktive Art hervorragend aus. Der Name Stone wiederum dient ebenfalls nicht nur als Name, sondern vielmehr als Synonym für die Lebenssituation der von Sandra Bullock gespielten Hauptfigur, für die sie mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Sie ist des Lebens überdrüssig und zieht die Stille des Alls dem bunten Treiben auf der Erde unter ihr vor. Der Tod ihrer vierjährigen Tochter hat ein tiefes Loch in ihre Seele gerissen und sie hat mit ihrem Leben abgeschlossen, bis es zur Katastrophe kommt und der Charmeur und Lebemann Kowalski ihr ihren Lebensmut wiedergibt.

Nun beginnt ein Prozess der seelischen, aber auch physischen Reinigung und Wiedergeburt, der nach vielen Widrigkeiten mit dem Eintritt der chinesischen Rettungskapsel in die Erdatmosphäre noch nicht beendet ist. Ausgerechnet in einem See, einer Metapher für das Fruchtwasser im Mutterleib (so Jonás Cuarón in einem Interview), landet Stone und muss sich wie ein Baby quälen, um das Licht der Welt neu zu erblicken. Noch hat sie ihr Leben nicht zurückerlangt.

Während sie aufgrund ihres zu schweren Raumanzuges zu Boden sinkt, schwimmt ein kleiner Frosch unbeschwert, und von ihr beobachtet, an die Oberfläche. Auf allen vieren kriecht sie schließlich, von allen Lasten (und Altlasten) befreit, wie die ersten Landbewohner vor rund 400 Millionen ans Ufer und erlebt so ihre eigene Rückkehr zum Menschsein. So ist die schreckliche Erfahrung des Fast-Todes schließlich Motivation, ihrem sinnlos geglaubten Dasein eine neue Richtung zu verleihen.

Zum Abschluss

Dass all dies nicht in Worten, sondern Bildern erzählt wird, führt das Kino ein Stück weit wieder zu seinen Anfängen zurück. Schon Alfred Hitchcock bezeichnete den Stummfilm als einzig wahres, echtes Kino. Dass ein Film mit insgesamt so wenig Dialog in der heutigen Zeit gemacht wird, ist ein großes Verdienst und nicht zuletzt dem großen technologischen Fortschritt der letzten Jahre mitzuverdanken, ohne den die Verwirklichung dieses Werkes nicht möglich gewesen wäre.

Letztlich zeigen die Mexikaner Alfonso und Jonás Cuarón, dass die Technik nicht nur ein Stil- sondern auch ein Erzählelement sein kann, denn Gravitiy sollte man, um den emotionalen Gedankenspielen der Autoren und des Regisseurs wirklich folgen zu können, unbedingt in 3D genießen. Nur so wird die dargestellte Schwerelosigkeit, die Tiefe, Kälte und Trostlosigkeit des Als wirklich auch für den Zuschauer erfahrbar.

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