Immer dann, wenn eine von vielen geliebte Person in die Ewigkeit eingeht, so heißt es in einer alten Legende, erstrahlt vom Firmament ein neuer heller Stern hinab, um von der Freiheit dieser Seele zu künden. Das Wort für »Stern« in der ostafrikanischen Sprache Suaheli, auch Kisuaheli genannt, ist »Nyota«, der Begriff für Freiheit lautet »Uhuru«.
In den späten Abendstunden des 30. Juli 2022 schloss Grace Dell »Nichelle« Nichols in Silver City im US-Bundesstaat New Mexico 89-jährig für immer ihre Augen, was ihr Sohn Kyle Johnson am darauffolgenden Tag bekanntgab. Nicht nur allein für uns Star Trek-Fans war sie bereits zu Lebzeiten unsterblich geworden durch ihre Rolle als Kommunikationsoffizierin zunächst im Rang eines Lieutenant Uhura in der klassischen Originalserie sowie den ersten sechs auf ihr basierenden Kinofilmen zwischen 1966 und 1991.
Die Sängerin
Schauspielerin hatte die am 28. Dezember 1932 in Robbins, Illinois geborene junge Grace eigentlich gar nicht werden wollen – vielmehr strebte die musikalisch ungemein begabte junge Frau eine Karriere als Sängerin an. Schon in jungen Jahren gehörte sie zu den Ensembles der gefeierten Jazzbandleader Duke Ellington und Lionel Hampton, mit denen sie auf große Tourneen ging und startete später eine Solo-Karriere, in der sie in Clubs auftrat, sowie in einem Broadway-Musical mitwirkte.
Eine erste, allerdings namentlich nicht genannte Rolle in einem Kinofilm spielte sie 1959 in Otto Premingers Adaption von George Gershwins Oper Porgy and Bess, in dem Sidney Poitier und Dorothy Dandridge die Titelrollen spielten. Es folgte eine Reihe von Gastauftritten in damaligen Filmen und Fernsehserien wie Great Gettin‘ Up Mornin‘ und The Lieutenant (beide aus 1964), wobei sie die Bekanntschaft Gene Roddenberrys machte. Dieser engagierte sie schließlich als Uhura, die zur ikonischen Figur für den afroamerikanischen Bevölkerungsanteil wurde.
Mehr soll über ihre Biografie an dieser Stelle gar nicht gesagt werden, da dies dieser Tage in zahlreichen Artikeln steht. Nachgelesen werden können die Eckdaten zu Nichelle Nichols Karriere auch in Die Star Trek Chronik Band 2: Raumschiff Enterprise von Björn Sülter, Reinhard Prahl und dem Autor dieses Artikels, welche im Verlag In Farbe und Bunt erschienen ist. Und über ihr Wirken als Rekrutierungsbeauftragte der NASA entstand der Dokumentarfilm Woman in Motion von Regisseur Todd Thompson, über den demnächst hier bei Planet Trek separat zu lesen sein wird.
Der Mensch
Vielmehr soll es an dieser Stelle um Nichelle Nichols als faszinierende und wunderschöne Frau und als warmherziger und liebenswerter Mensch gehen, denn: Meine Freunde und Autorenkollegen hatten das Vergnügen, sie persönlich zu treffen. Björn Sülter lernte sie 2018 hinter den Kulissen der Destination Star Trek Germany kennen und erinnert sich noch heute an die Gespräche mit ihr sowie ihre Warmherzigkeit und Freundlichkeit. Reinhard Prahl, dessen gemeinsames Foto mit Autogramm an dieser Stelle zu sehen ist, berichtet oft und gerne, wie ihm vor Ergriffenheit die Tränen in den Augen standen, als er Nichelle Nichols auf einer Convention persönlich traf und eine kleine Unterhaltung mit ihr führen konnte.
Und ich selbst? Nun – ich durfte einmal mit ihr zu Abend essen und drei Stunden lang die ungeheure Ausstrahlung dieser Grande Dame von Star Trek aus allernächster Nähe erleben.
Die StarDream One-Convention im September 1994 im Mannheimer Kongresszentrum Rosengarten war eine der allerersten deutschen Star Trek-Großveranstaltungen. Auf ihr war eine Vielzahl an Prominenz aus dem Roddenberry’schen Universum zu Gast, darunter James Doohan, Majel Barrett, John de Lancie und auch Nichelle Nichols – das konnte ich mir gemeinsam mit meiner damaligen Freundin (und seit 27 Jahren meine Ehefrau) Sabine natürlich nicht entgehen lassen. Gegen einen Aufpreis konnte man damals ein Dinner gemeinsam mit den Stars im Rosengarten zubuchen – wir stellten uns darunter vor, dass wir in einem Saal sitzen und eine große Tafel würden sehen können, an der die anwesenden Stars saßen. Was wirklich passieren sollte, das ahnten wir nicht.
Nichelle Nichols hatten wir anfangs auf der StarDream One-Con verpasst. Es gab so vieles zu sehen: Panels mit Scotty und seiner deutschen Stimme K.E. Ludwig, ein überaus amüsantes Gespräch mit Majel Barrett, das Kennenlernen vieler anderer Fans, die teilweise noch heute Freunde sind und vieles weitere mehr, was Convention-Besuche bis zum heutigen Tage ausmacht. Wie im Flug verging der Tag und schon wurde es Zeit, sich für das Star-Dinner anzustellen.
Die Türen des großen Saals öffneten sich und wir traten ein, es herrschte freie Platzwahl. Sehr schnell fiel mir ein Tisch ins Auge, auf dem deutlich sichtbar ein Schild mit der Aufschrift »Nichelle Nichols« stand. Ohne weiter zu überlegen, setzten wir uns an diesen Tisch. Wir dachten damals, dass Nichelle Nichols im Lauf des Abends möglicherweise einmal hier vorbeischauen würde und freuten uns darauf, auch sie doch noch aus allernächster Nähe sehen zu können. Abgesehen von zwei ausdrücklich reservierten Plätzen gesellten sich noch weitere Fans zu uns.
Und dann geschah es: Convention-Veranstalterin Silvia Strybuc verkündete das Eintreffen der Stars, und – Nichelle Nichols, damals bereits 62 Jahre alt und von strahlendem Aussehen erschien und setzte sich auf den freien Platz neben mich (!!!), an ihrer Seite ihr damaliger Freund Jim. Sie trug eine farbenfrohe modische Kombination und hatte ein ungemein ansprechendes gleichwohl unaufdringliches wie einprägsames Parfum aufgelegt; sie wirkte nach dem für sie sicherlich immens anstrengenden Convention-Tag so frisch und erholt wie nach einem dreiwöchigen Urlaub. Das erste, was Ms. Nichols tat war, nach meinem soeben bestellten Mineralwasser zu greifen und sich und ihrem Freund davon einzuschenken.
Nicht im Traum hätte ich ein einziges Wort darüber verloren und erwartete auch nicht, dass sie das tun würde. Irrtum! »I stole your water!« (»Ich habe Ihr Wasser gestohlen!«), sagte sie unmittelbar im Anschluss an die gegenseitige Vorstellung. Dann wollte sie nach dem Kellner rufen, um mir Ersatz zu bestellen, aber ich winkte ab. »If I let you do that, I wouldn’t be able to tell anyone that Nichelle Nichols took my water!» (»Wenn ich Sie das tun lasse, könnte ich niemandem mehr erzählen, dass Nichelle Nichols mein Wasser genommen hat!«), antwortete ich trotz meiner enormen Nervosität halbwegs schlagfertig und sie ließ ihr berühmtes ansteckendes glockenhelles Lachen hören, während ich gleichzeitig spürte, wie Sabine mir unter dem Tisch in den Oberschenkel kniff. Wie bereits erwähnt saßen noch andere Fans mit am Tisch, die ebenfalls zu ihrem Recht kommen wollten, doch blieb für jeden von ihnen genügend Zeit und Gelegenheit dazu, sich ebenfalls mit dem Star zu unterhalten.
Was dann folgte, war einer der bis heute unvergesslichsten Abende meines ganzen bisherigen (Fan-) Lebens. Ich wurde einmal gefragt, was es denn an dem Abend zu essen gegeben habe – als ob ich daran die allerkleinste Erinnerung besäße! Nichelle Nichols erwies sich als Gesprächspartnerin, die einem nach wenigen Minuten das Gefühl gab, man kenne sie schon ewig. Zunächst unterhielten wir uns über Allgemeines wie die Fragen, von wo aus Deutschland wir eigentlich kamen und was wir beruflich taten, ob wir Kinder hatten, Haustiere hielten – Themen, über die man eben ganz automatisch spricht, wenn man sich trifft.
Und dann erzählte sie uns aus ihrem Leben. Davon, wie ihr aus bescheidenen Verhältnissen stammender Vater zum Bürgermeister des Vorortes von Chicago, in dem sie geboren wurde, aufgestiegen war und von ihrer Zeit bei Ellington und Hampton. Sie war hocherfreut darüber, dass ich insbesondere Porgy and Bess kannte und liebte und stimmte mit ihrer beeindruckenden Stimme das wohl bekannteste Lied daraus, Summertime für mich an.
Natürlich kam auch Star Trek zur Sprache. Sie erzählte davon, für wie gelungen sie die deutsche Fassung gemessen an der Synchronität der Mundbewegungen hielt und lachte ein weiteres Mal herzlich darüber, als ich ihr einen Teil der flapsigen Sprüche übersetzte. Selbstverständlich ging es auch um DeForest Kelley, nach dem ich sie fragte. »He’s such a darling!« (»Er ist ein solcher Schatz!«), sagte sie mit einer nicht zu überhörenden Zuneigung in ihrer melodischen Stimme. »He is one of the nicest people I know- a real old school gentleman.« (»Er ist einer der nettesten Menschen, die ich kenne- ein echter Gentleman der alten Schule.«)
Zum Abschluss machten wir ein gemeinsames Foto (das leider in den unendlichen Weiten der Walch’schen Archive verschollen ist, eines Tages jedoch ganz bestimmt wieder auftauchen wird) und ich erhielt tatsächlich noch ein verspätetes Autogramm von ihr – was sie anbot, ohne dass ich es erbitten musste (was ich der einmaligen Gelegenheit geschuldet auch niemals getan hätte). Der grandiose Abend verlieh mir im wahrsten Sinn des Wortes Flügel, und es gab für viele Wochen lang kaum ein anderes Thema zuhause im Freundeskreis.
Ich traf Nichelle Nichols noch mehrere weitere Male. Natürlich erinnerte sie sich angesichts der vielen freundlichen Fanbegegnungen, für die sie zeitlebens bekannt war, sicherlich nicht an mich an diesem Abend speziell, doch bei den wenigen weiteren Gelegenheiten, bei denen ich ihr zumindest einen kleinen Gruß entbieten konnte, war sie stets genauso freundlich und herzlich wie bei unserer ersten Begegnung im Rosengarten im Herbst 1994.
Die letzten Jahre
Nichelle Nichols blieb ein gerngesehener Gast auf der FedCon und anderen Veranstaltungen bis in ihr fortgeschrittenes Lebensalter hinein. Vor einigen Jahren schon war eine Demenzerkrankung bei ihr diagnostiziert worden, was letztlich zu verschiedenen hierauf zurückgehenden Schwierigkeiten führte, die es nötig machten, dass sie einen Rollstuhl benutzte, ferner machten ihr auch finanzielle Probleme zu schaffen.
Anfang Dezember vergangenen Jahres schließlich trat die zu dieser Zeit 88-jährige Star Trek-Veteranin auf der Nichelle Nichols Farewell Convention letztmalig öffentlich vor ihren Fans auf. Ihre letzten Filmauftritte waren Cameos in Filmen wie der Star Trek-Parodie Unbelievable!!! (2016 entstanden, aber erst 2020 veröffentlicht) oder dem SchleFaZ-Kultfilm Sharknado 5: Global Swarming (2017).
Das Vermächtnis
Nichelle Nichols hinterlässt viel – bei Weitem nicht nur der Star Trek-Fangemeinde, in der sie verehrt wurde, sondern auch im Bereich der Gleichstellung aller Menschen, die, wie wir alle wissen, noch immer nicht voll und ganz vollzogen ist; ganz besonders exemplarisch hierzu die Geschichte der 1966 knapp elfjährigen Caryn Elaine Johnson, die später unter ihrem Künstlernamen Whoopi Goldberg ein Weltstar werden sollte und damals erstmalig eine Star Trek-Folge im TV sah: Im Anschluss lief sie durch das ganze Haus und rief nach ihrer Mutter: »Im Fernsehen ist eine schwarze Lady und sie ist kein Dienstmädchen!«
Oder aber ihre Begegnung mit dem großen Dr. Martin Luther King (1929 bis 1968), der eine zweifelnde Nichelle Nichols einst davon abbrachte, der Serie aufgrund der von ihr empfundenen Unwichtigkeit ihrer Rolle frühzeitig den Rücken zu kehren – eine Geschichte, die Nichelle Nichols bei ihren vielen Convention-Auftritten immer zu erzählen liebte.
Das, was Nichelle Nichols durch ihre wegweisende Darstellung in diese Welt gebracht hat, ist unersetzlich und ebenso unvergänglich. Zwar heißt es frei nach Shakespeare, dass das Gute, das Menschen tun, oftmals mit ihnen begraben wird und nur die bösen Taten unvergessen bleiben, doch waren es Menschen wie Nichelle Nichols, die uns lehrten, dass der große Dichterkönig in diesem Punkt irrte. Nicht allein wir Trekkies werden der Grande Dame von Star Trek ein ehrendes Andenken bewahren, sondern sicherlich alle die auf dieser Welt, die sich für die Gleichheit aller Angehörigen der Spezies Homo sapiens einsetzen.
Strahle, Du heller Stern der Freiheit!