Was ist Star Trek? Diese eigentlich gar nicht so schwierige Frage beantwortet ein jeder Fan selbstverständlich ganz individuell. Für mich ist Star Trek immer viel mehr gewesen als nur ein einziger Aspekt. Zum gelungenen Mix gehören Weltraumphänome wie auch Action, Zeitreisen, Charakterdramen, Gesellschaftskritik oder auch Planetenabenteuer. Gerade die Vielfalt trug das Franchise letztlich über 52 Jahre und wird es damit auch in die Zukunft führen.
Dennoch gibt es sie eben doch; Episoden, die eine ganz bestimmte Magie ausstrahlen, die man einfach mit der Kreation des Gene Roddenberry verbindet. Episoden, die das Denken anregen, die zu Tränen rühren, die mitfiebern und mitfühlen lassen und die uns aufzeigen, was für Missstände wir in unserem täglichen Leben noch auszuräumen haben, oder die uns Möglichkeiten präsentieren, wo es hingehen könnte. Diese Episoden kamen in allen Serien vor – da ist es nur fair, dass meine Auswahl dies auch fast konsequent widerspiegelt.
Hier sind sie also, meine fünf essenziellen Episoden aus den fünf klassischen Trek-Serien. Star Trek: Discovery ist aktuell noch nicht vertreten, war aber bereits einmal nah dran (Lethe). Wetten, dass jedoch auch die neue Serie zukünftig noch einen Beitrag dieser Kategorie liefern können wird?
The City on the Edge of Forever
Der frühste Star-Trek-Klassiker für die Ewigkeit entstand bereits im Jahre 1967 und erhielt den deutschen Titel Griff in die Geschichte. Im Vergleich zu vielen anderen Versuchen der Synchronisation (Gefährliche Planetengirls, Der Zentralnervensystemmanipulator) war diese gefühlvolle Titelwahl geradezu ein Segen und erlaubte einer wunderbaren Episode einen angemessenen Titel!
Harlan Ellison hatte dafür ein Drehbuch verfasst, das den Produzenten als unverfilmbar galt. So musste das Manuskript viele Änderungen diverser an der Serie beteiligter Personen über sich ergehen lassen. Dennoch gewann Ellison für die Urfassung den begehrten Writers Guild of America Award. Wie Roddenberry einmal süffisant und sinngemäß sagte: Viele Autoren würden Preise gewinnen, wenn sie Drehbücher ablieferten, die dreimal das Budget einer Serie sprengten.
Doch war das Ergebnis im TV glücklicherweise nicht minder faszinierend als Ellisons ursprüngliche Idee. Kirk und Spock wurden durch ein Zeitportal in die Erdvergangenheit der 1930er-Jahre geschickt und erlebten die Bemühungen der Sozialarbeiterin Edith Keeler (Joan Collins) um ihre Mitmenschen, während sie von den Sternen träumte. Man zeigte den Zuschauern auf diese Weise, dass Weitsicht und Hilfsbereitschaft im Kleinen wie im Großen möglich waren.
Zudem traf die Episode aber selbstverständlich eine erste deutliche Aussage über den Eingriff in die Zeitlinie. McCoy, der nach einer Injektion durchgedreht und durch das Zeitportal verschwunden war, hatte diese nämlich ungewollt verändert, indem er Keelers Leben gerettet hatte. Spock fand später heraus, dass durch ihr Überleben die gesamte Geschichte des zweiten Weltkriegs verändert würde und die Nazis durch die Entwicklung von Atomwaffen die ganze Welt einnehmen würden. So musste Kirk die Frau, in die er sich just zu verlieben begann, am Ende doch noch sterben lassen, um die Kontamination der Zukunft – seiner Zukunft – rückgängig zu machen. Ein schmerzhafter Moment für den Captain, dem man seine schnellen Gefühle hier so sehr wie nur selten abgenommen hatte.
The Measure of a Man
Wem gehört Data? Eine gute Frage, die man sich vor Ausstrahlung der im Deutschen gleichnamigen Episode aber vermutlich gar nicht gestellt hatte. Eindeutig war, dass es sich bei der Figur um einen Androiden und somit eine künstliche Lebensform handelte. Er hatte zudem eine wichtige Funktion auf dem Schiff inne und bekleidete den Rang eines Lieutenant-Commander. Dass seine Persönlichkeitsrechte denen eines Toasters gleichen sollten, überraschte dann doch einige Zuschauer. Oder haben Sie sich schon mal eine Kaffeemaschine mit akademischem Grad gekauft?
Wie dem auch sei: Ein gewisser Commander Maddox wollte unseren liebsten Pinocchio als Vorlage für eine ganze Armee von Androiden nehmen, die dann der Sternenflotte hätte dienen können. Logisch, dass dieses – oberflächlich nachvollziehbare Ansinnen – bei unserer berufsbesonnenen Crew um den weisen Mahner und Warner Picard sofort auf den Prüfstand kam. War Data nicht viel mehr als eine Maschine des täglichen Gebrauchs? War er nicht sogar ein Individuum mit allen dazugehörenden Rechten?
Im Stile einer klassischen Anwaltsserie musste Riker den Part des Anklägers übernehmen (und damit zum Wohl des Ganzen gegen seine Überzeugung handeln) und Picard durfte den Verteidiger (und somit die Stimme der Vernunft) geben. Rikers Rolle wird dabei allerdings oft unterschätzt – außer von Data, dem menschlichsten aller Androiden. Hätte sein Commander nicht so kompetent gegen ihn argumentiert, wäre Picard nicht derart zu Höchstform aufgelaufen und hätte eventuell verloren.
Die Episode zeigte uns auf eine überraschende Weise, wie leicht sich (vermeintlich) eindeutige Sachverhalte in Frage stellen lassen, wie schmal der Grat zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und Unterdrückung ist und wie wichtig es am Ende des Tages immer bleibt, alle Seiten einer Geschichte zu kennen.
Far Beyond the Stars
Avery Brooks war schon zu Beginn von Star Trek: Deep Space Nine ein Mann, der stark für seine schwarze Gemeinde einstand und immer wieder auf die vielfältigen Probleme farbiger Menschen in den USA hinwies – in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Wer also konnte besser dafür geeignet sein, ein Drehbuch über genau diesen Aspekt vom Regiestuhl aus umsetzen? Das dachten sich auch die Produzenten und übergaben ihm das anspruchsvolle Drehbuch zu der auf Deutsch mit Jenseits der Sterne betitelten Episode.
In dieser kam es zu einem Novum in Star Trek. Die Darsteller der Serie traten geschlossen in anderen Rollen auf und durchliefen so eine alternative Geschichte, die im New York der 1950er-Jahre angesiedelt war. Gerade in Bezug auf die Akteure, die sonst unter viel Makeup begraben wurden (Quark, Weyoun, Worf, Dukat, Martok, Nog) handelte es sich hier um eine gelungene Abwechslung!
In dieser Form der Metafiktion war Sisko plötzlich der Science-Fiction-Autor Benny Russell, der eine wunderbare Idee für das kleine Magazin hatte, für das er schrieb: Die Geschichte einer Raumstation namens Deep Space Nine! Doch so sehr seine Kollegen ihn dafür feierten, so wenig bereit war die Welt eigentlich für einen farbigen Autoren – oder wie im Falle einer Kollegin, für einen weiblichen. Damit hatte das Drehbuch bereits einen potenten Punkt angesprochen und clever umgesetzt, ging jedoch noch einen ganzen Schritt weiter. Benny wollte aus seinem Helden, Benjamin Sisko, nämlich auch einen farbigen Captain machen!
An dieser Stelle rissen seinen Bossen alle Geduldsfäden. Die Ausgabe mit seiner Geschichte durfte nicht erscheinen, da niemand eine farbige Hauptfigur in diesem Kontext würde akzeptieren können. Man traf damit eine prägnante Aussage über den Mut des Gene Roddenberry, in den 1960er-Jahren eine gemischte Crew aus Männern und Frauen, Weißen und Farbigen, Russen, Europäern, Amerikanern, Asiaten, Afroamerikanern und Aliens zu präsentieren! Heute wissen wir: Die Welt ist bunt! Hier war der Blick in unsere eigene Geschichte allerdings so schmerzhaft wie selten in Star Trek.
Als Cocktailkirsche auf dem schmackhaften Kuchen lieferte Avery Brooks (wie aber auch alle seine Kolleginnen und Kollegen) noch seine vielleicht beste Darstellung innerhalb der Serie ab. Unbedingt im englischen Original ansehen und -hören!
Living Witness
Was wäre, wenn wir einschliefen und nach Jahrhunderten wieder aufwachten, nur um unsere Welt komplett verändert vorzufinden? Was wäre zudem, wenn unsere eigene Rolle und die unserer Freunde dann Gegenstand historischer Überlieferungen wären, die so einfach nicht stimmten?
Der Holodoc erlebt als Der Zeitzeuge, wie die Episode im Deutschen heißt, genau dieses Szenario. Irgendwie gelangte sein Backup-Programm auf einen Planeten, den die Voyager besucht hatte. Irgendwie wurde er erst eine Ewigkeit später durch einen Wissenschaftler aktiviert und direkt angeklagt. Doch warum? In der Geschichtsschreibung dieses Planeten war die Crew der Voyager verantwortlich für schlimme Dinge gewesen.
Wie die Episode diesen abstrusen Sachverhalt illustriert, macht sie an sich schon zum Klassiker. So erlebten wir eine dämonisch-tödliche Hardliner-Janeway mit schwarzen Lederhandschuhen, einen skrupellosen Chakotay mit Gesichts-Tattoo oder auch den Androiden in der Krankenstation, der nichts anderes als ein Massenmörder war.
Derweil schwankt und wankt unser Doktor sichtlich geschockt durch die holographischen Darstellungen seiner Freunde und Kollegen und versucht mit Mühe und Not, das verzerrte Bild gerade zu rücken.
Uns lässt man an dieser Stelle mit vielen Fragen zurück: Wodurch entsteht Geschichtsschreibung? Wer verantwortet sie? Und warum? Die Episode stellt diese Fragen subtil und weist uns den Weg in die richtige Richtung mit kleinen Gesten.
Je mehr man sich an eine subjektive Wahrheit gewöhnt hat – und sei es nur, weil sie die Seele streichelt – desto schwieriger wird das Loslassen. Dabei spielt es dann auch keine Rolle mehr, wie stichhaltig die Gegenbeweise sind. In einer der potentesten Szenen schaltet der eigentlich so besonnene Wissenschaftler das Programm des Doktors ab, weil er die Wahrheit nicht ertragen – ja nicht einmal hören kann.
Uns Zuschauern bleibt allerdings auch nach dem Ausschalten ein Glanzstück aus 52 Jahren Star Trek.
Dear Doctor
Ein Glanzstück für die erste Staffel von Star Trek: Enterprise war auch die im Deutschen originalgetreu Lieber Doktor getaufte Episode.
Wäre das Thema nicht an sich schon so anregend, alleine der Rahmen und die Atmosphäre des Gezeigten hätte schon wunderbar für mich funktioniert. Doktor Phlox schreibt einen Brief an seinen menschlichen Kollegen Dr. Lucas, der wie er im Austauschprogramm der Sternenflotte arbeitet und sich in diesem Zusammenhang gerade auf Denobula befindet. Die spaßigen Gedanken des kauzigen Arztes machen dabei bereits viel Freude, ebenso wie das Geplänkel mit der leider viel zu früh verstorbenen Kellie Waymire in der Rolle der Elizabeth Cutler.
Doch geht es eben auch noch ans Eingemachte. Die Crew besucht nämlich einen Planeten, auf dem sich zwei Spezies parallel entwickelt haben, die beide eine vergleichbar hohe Evolutionsstufe erreicht haben. Dennoch wird die eine – vermeintlich weniger entwickelte – außerhalb der Städte gehalten und dient eher als Arbeiterklasse. Der Doktor entdeckt jedoch, dass die dominante Spezies – der man wegen einer Krankheit zur Hilfe kam – genetisch zum Aussterben vorgesehen scheint, während die andere Spezies deutliches Potenzial zeigt, dass ihnen in Kürze einen Evolutionssprung ermöglichen wird. Was tun, sprach da der Philosoph?
Mischt man sich in den natürlichen Gang der Welt ein und heilt die einen, verdonnert die anderen damit aber potentiell zu einem Leben in Unterdrückung? Oder stiehlt man sich davon und lässt alles seinen Gang gehen? Oder viel einfacher gefragt: Ist medizinische Hilfe nicht eigentlich immer richtig? Ein Arzt mag da durchaus anders argumentieren als ein Captain – oder ein Admiral, ein Politiker oder der bereits angesprochene Philosoph.
Argumente gibt es in gut geschriebenen Geschichten immer für beide Seiten – so auch hier. Letztlich kommt Captain Archer allerdings zur einzig möglichen Erkenntnis: Er und seine Crew sind nicht da draußen, um Gott zu spielen. Und so weh es tut: Die Entscheidung ist zu groß für ihn und seine tapferen Mannen. Zu groß für die Menschen, zu groß für jeden Außenstehenden. Das steht zwar in krassem Widerspruch zu vielen anderen Gelegenheiten, bei denen Archer den Captain America des Weltalls gab und wie eine interplanetarische Planierraupe seine Agenda durchboxte, hier jedoch machte man es seitens des Drehbuchs absolut richtig und ließ ihn an der Wucht der Verantwortung scheitern.
Das harte Ende wurde dabei durchaus kontrovers aufgenommen. Zurecht! Das Gute war aber: Jeder durfte individuell werten. Archers Entscheidung musste nicht die einzig wahre sein und wurde auch nicht so verkauft. Die Episode brachte uns hingegen lieber zum Nachdenken und stellte eine unbequeme Frage, die in 45 Minuten TV nicht zu beantworten war. Genau darin war Star Trek immer so gut. Die Dinge anzusprechen und damit Prozesse in Gang zu bringen. In diesem Kontext ist dieses Abenteuer mit das Beste, was Star Trek: Enterprise in vier Jahren hervorgebracht hat.
Conclusio
Bei keinem anderen popkulturellen Phänomen ist der Gedanke der Meinungsvielfalt so ausgeprägt wie in Star Trek. Sie steht dort sozusagen in der DNA. Daher bildet diese Kolumne selbstverständlich nur eine vollkommen subjektive Meinung ab. Der wichtigere Teil folgt immer im Anschluss: Was denkt ihr? Hättet ihr die gleichen oder vielleicht ähnliche Episoden ausgewählt? Und wenn nicht: warum? Was ist für euch essenzielles Star Trek? Lasst die Diskussion beginnen und preist die Meinungsvielfalt – denn das ist Star Trek!
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf www.syfy.de und ist Eigentum von NBC Universal Global Networks Deutschland GmbH. Er wird mit freundlicher Genehmigung zur Verfügung gestellt.