Andere Welten

Thor: Love and Thunder – Kritik: Der Marvel-Film zum Metal-Albumcover

© Disney/Marvel

Chris Hemsworth donnert zum mittlerweile vierten Mal mit einem “Thor”-Solofilm in die deutschen Kinos. Sidney Schering hat den Film bereits gesehen – und war freudig überrascht.

© Disney/Marvel

Potzblitz! Wenige Figuren verdeutlichen derart wie Thor, dass das Marvel Cinematic Universe – Erfolgsformel hin, Erfolgsformel her – verflixt vielseitig sein kann. Der von Chris Hemsworth verkörperte Weltall-Wikinger und Donnergott mit ebenso liebenswert-charmanten wie dümmlich-arroganten Grinsen ist seit der Auftaktphase Teil dieses Filmuniversums. Kenneth Branagh bemühte sich, Thor in Phase I des MCU einen Hauch von Shakespeare zu verleihen, auch wenn die Sci-Fi-Komödie hauptsächlich als „Fisch aus dem Wasser“-Späßlein daherkam.

In Phase II ging es mit Thor: The Dark Kingdom weiter. Einem Film, in dem Regisseur Alan Taylor mit Game of Thrones-Ästhetik kokettierte, Thors listiger Bruder Loki und die menschlichen Figuren rund um Natalie Portmans Jane Foster den Wortwitz übernahmen, und das Finale Slapstick-Energie sowie allerlei Welten verbindende Portale bot.

In Phase III letztlich zerstörte Regisseur Taika Waititi während der kunterbunten Sci-Fi-Actionkomödie Thor: Tag der Entscheidung Thors Heimat Asgard sowie seinen geliebten Hammer Mjölnir. Und er regte Chris Hemsworth kurze Zeit nach seinem Auftritt als hohlköpfiger Assistent in Ghostbusters – Answer the Call dazu an, sich weiter in seinem humoristischen Talent zu suhlen. Thor wirkte wie ausgewechselt, Hemsworth hatte mehr Spaß denn je an der Rolle. Nicht zuletzt deswegen ist uns nun ein vierter Thor-Film vergönnt. Der Phase-IV-Beitrag stammt erneut von Waititi, der nun derart freidreht, dass Thor: Tag der Entscheidung wie die Generalprobe für Thor: Love and Thunder wirkt. Wenn man mich fragt: Was für ein Glück!

Neuerfindung, Durchhaltevermögen & ‘ne Dosis Guns n’ Roses!

Nach seinem Raum und Zeit überbrückenden Einsatz in Avengers: Endgame hat sich Thor den Guardians of the Galaxy angeschlossen – mit durchwachsenem Erfolg. Einerseits schätzt die Truppe seinen Wert im Kampf, andererseits bringt Thor ihre Quasi-Familiendynamik durcheinander. Und nachdem Peter Quill alias Star-Lord (Chris Pratt) wenigstens einen Hauch Bescheidenheit gelernt hat, braucht’s beim besten Willen keinen neuen Großkotz in der Gruppe. Aber man will Thor nicht in seiner Suche nach einem neuen Ich stören…

Eine alte Wegbegleiterin Thors ist dagegen auf der Suche nach einem Silberstreif am Horizont: Seine Ex-Freundin Dr. Jane Foster, die kürzlich eine Hiobsbotschaft erhalten hat, sich bisher nicht dem entsprechend verhält, und viel zu stur ist, um sich Schwäche einzugestehen. Als der Götterschlächter Gorr (Christian Bale) in seinem Feldzug gegen Gottheiten Kurs auf Neu Asgard nimmt, begegnet sich das Ex-Paar wieder. Beide leugnen ihren emotionalen Status, strotzen wieder vor Kraft und sind bereit, von jeder Menge Rock- und Metal-Musik begleitet, auszuteilen…

Himmelhoch gröhlend, mörderisch betrübt

Schon in Thor: Tag der Entscheidung drehte Taika Waititi die Farbsättigung hoch und hatte ansteckende Freude an verspielten Designs. Bei mir selbst ist der Funken allerdings nicht derart übergesprungen, wie bei vielen anderen Fans: Oftmals wird Thor 3 als eines der Highlights im Marvel Cinematic Universe gelistet, aber für mich haperte der Film nicht nur aufgrund einiger schwacher Computereffekte. Sondern auch wegen mancher Kulissen, bei denen das quirlige Design in der Umsetzung eher billig statt spaßig aussah. Und vor allem aufgrund dessen, dass sich Waititi, der kauzige Komiker, und Waititi, der profunde Geschichtenerzähler, ungewohnt häufig im Weg standen.

Anders als zuvor im grandiosen Wo die wilden Menschen jagen und später im nicht minder herrlichen Jojo Rabbit, wo sich Waititis greller Humor und seine subversive-schlaue Erzählweise ergänzen, kam mir Thor 3 stets so vor, als würde ich zwischen zwei verschiedenen Visionen des neuseeländischen Filmemachers zappen. Thor: Love and Thunder hingegen rockt die tonalen Diskrepanzen. Es fängt schon damit an, dass Hemsworth als Donnergott in Sinnkrise das macht, was viele Männer in Hemsworths Alter machen, wenn sie gerade den Blues haben:

Er ändert seinen Kleidungsstil, übertönt sein angekratztes Ego mit Ignoranz und kurz angebundenen, halbschlauen Sprüchen. Und er taucht tief, tief, tief in 80er-Jahre-Nostalgie ab. Thor macht in diesem Film Spagat wie Jean-Claude Van Damme und verteilt Roundhouse Kicks, als sei er Chuck Norris. Er trauert seiner Ex und seiner Ex-Waffe hinterher. Und filmisch wird in der Plattensammlung gestöbert, der Soundtrack entdeckt Klassiker des Rock, Glam Rock, Rock ‘n’ Roll und Heavy Metal wieder für sich.

Auch Jane blendet sich selbst, indem sie ihren dringenden Sorgen keine Beachtung schenkt, um sich stattdessen lieber in Arbeit und bald darauf auch im Heldentum zu verlieren: Auf magische Weise zu Mighty Thor geworden, erfindet sie sich neu und glaubt, mehr Durchhaltevermögen denn je zu haben. Verleugnung ist Thema und Handlungselement zugleich, und so treffen Waititis erzählerische Stimmungsschwankungen in Thor: Love and Thunder nicht nur mit der Macht eines Hammers, sondern auch so zielgenau wie ein von Zeus höchstpersönlich geschleuderter Blitz.

Ganz davon zu schweigen, dass es zum rockenden Soundtrack passt sowie den vielen ikonisch aufgeladenen Bildern, die Waititi in Thor: Love and Thunder kreiert: Zahlreiche Sequenzen in dieser irren, tragikomischen, ruhelosen Superhelden-Actionummer sehen aus wie bewegte Metal-Albencover. Und eine Metal-Band, die was auf sich hält, vergräbt liebend gern zwischen humorvoll-energiegeladenen Hymnen, ironisch-pathosgeladenen Kriegsmythen und temporeicher Dramatik liebend gern das eine oder andere markige Stück Herzschmerz…

Was zerbricht, lässt sich neu zusammensetzen

Genau das ist die größte Stärke an Thor: Love and Thunder. Unter dem eklektischen Design verbirgt sich ein super unterhaltsam zur Schau gestelltes, authentisches Herz. Thor mag gegen haarige, kleine Knirpse im Critters-Gedächtnisdesign auf Weltall-Motorrädern kämpfen. Christian Bale so aussehen, als würde er mit mehreren Jahren Verspätung für Mad Max: Fury Road vorsprechen. Und Michael Giacchinos powervoller, herzlicher Score mag mit Waititis 80er-Jukebox-Hitauswahl auf dem Soundtrack kollidieren. Aber es hat aufmunternde Methode.

Waititi weiß, im richtigen Moment einen Gang runterzuschalten, ohne seine stylische Inszenierung oder seine aufgekratzten Figuren zu betrügen. Die Albernheit lenkt von Thors Sinnsuche und Janes Schmerzensverdrängung ab, bis es nicht mehr geht, und sie zum sanften Trostspender für die geknickten Figuren und deren Publikum wird. Aber so, wie Mjölnir in Janes Händen frisch zusammengesetzt neue Kräfte entwickelt, erfinden sich auch die Figuren immer wieder neu. „Was dich nicht umbringt, macht dich stärker“, so könnte die Aussage des Films lauten, „ist vielleicht eine kitschige, gelegentlich verlogene Floskel. Aber was dich nicht umbringt, lässt dich sehr wohl neue Seiten an dir entdecken.“

Wie oft sich Marvels Leinwand-Thor noch neu erfinden kann, das weiß wohl nur Kevin Feige. Aber nach Thor: Love and Thunder habe ich mehr Freude denn je daran, es ebenfalls herauszufinden.

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