Andere Welten

Bücherecke: Dmitry Glukhovsky: Outpost – Der Aufbruch

© Heyne

Nichts für schwache Nerven: Im zweiten Outpost-Roman greift das Grauen um sich.

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Russland in der nahen Zukunft: Aus den Trümmern eines verheerenden Bürgerkrieges ist ein neues mächtiges russisches Reich entstanden – Moskowien. Auf der Vergangenheit des einst mächtigen russischen Imperiums soll die neue Zukunft des Landes, das neue Zarenreich errichtet werden. Doch am östlichen Außenposten des Reiches, in Jaroslawl an der Wolga, ist etwas geschehen, dass all die schönen Pläne und Eroberungsphantasien zum Einsturz bringen kann.

Moskau hat den Kontakt zum Außenposten verloren, Zar Arkadij Michailowitsch fühlt sich umgeben von Verrätern und feindlichen Agenten. Nur seinen Kosaken, denen auf der Militärakademie die russische Sprache ohne Fremdwörter neu beigebracht und die Geschichte des russischen Kaiserreiches neu gelehrt wird, traut er zu, die Wahrheit herauszufinden. So beauftragt er den Kosaken Juri Lizzizyn mit einer Geheimmission: Er soll feststellen, was in Jaroslawl wirklich passiert ist.

Lizzizyn, frisch verliebt in Katja, eine Ballerina am Bolschoi-Theater, ist bereit, alles für den Zaren zu tun, zumal der Auftrag bedeutet, dass er das Schicksal seines Freundes Sascha Krigow aufklären kann. Dieser sollte mit seinem Trupp Kosaken erkunden, inwiefern die Gebiete der ehemaligen Aufständischen zurückerobert und erneut dem russischen Reich einverleibt werden können. Doch seit ihrem Aufbruch von Jaroslawl aus über die Wolga, gibt es von ihnen keine Spur mehr. Lizzizyn brennt darauf, dass Schicksal seines Freundes aufzuklären, doch was er vorfindet, als sie den Außenposten erreichen, stellt selbst den erfahrenen Soldaten auf eine harte Probe.

Aufbruch in ein goldenes Zeitalter?

Der Aufbruch, der zweite Band von Glukhovskys Outpost-Dilogie, deckt nach und nach die Rätsel um die jüngere russische Vergangenheit auf, die im ersten Band, Der Posten, eher vage blieb und nur am Rande erwähnt wurde. Was war der Grund für den russischen Bürgerkrieg? Wer waren die Aufständischen und was ist mit ihnen geschehen? Welche Mächte halten die Blockade gegen das neue Zarenreich aufrecht und warum?

Der Schrecken nimmt allmählich an Fahrt auf, genauso wie der Zug, mit dem schon wieder ein Trupp Kosaken nach Jaroslawl aufbricht. Welches grausige Schicksal erwartet sie dort? Ist ein Menschenleben überhaupt noch etwas wert? Die Vergangenheit soll von Schmutz und Unrat befreit werden, hat der Zar dem treuergebenen Juri Lizzizyn mit auf den Weg gegeben. Erst langsam wird diesem – und auch den Lesern klar –, was damit gemeint ist. Machtgier und Gewissenslosigkeit greifen um sich, irgendwann ist sich jeder selbst der nächste, scheint es.

Ausdehnung um jeden Preis

»Russlands einziger Sinn ist, sich auszudehnen. Alle Entbehrungen und Opfer sind nur dafür da. Nur damit es wächst und wächst. […] Wachsen, immer weiter wachsen, und das um jeden Preis.« beschwert sich der Zugführer, der die Kosaken nach Jaroslawl bringt, und blutig für seine ketzerischen Worte zahlen muss, dass all diese Eroberungspläne völlig sinnlos sind und nur den Mächtigen dienen, wogegen das Volk nur Leid und Elend erwarten. Das Bild, das von Moskowien gezeichnet wird, ist alles andere als rosig: der klägliche Überrest des einstigen Reiches, der verstümmelte, gescheiterte Staat.

Das einzige Verbrechen, das die Aufständischen auf sich geladen haben, scheint der Wunsch gewesen zu sein, ohne Moskau leben zu wollen. Es fällt schwer, dies zwischen den Zeilen nicht als Kommentar des Autors auf den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine zu lesen – und das Grauen, das in Moskowien um sich greift, das große, wahnsinnige Gemetzel, nicht als das Grauen des Krieges in der Ukraine zu verstehen, als die Unmenschlichkeit des Tötens an sich, das die Menschen zu Monstern macht. »Irgendwer muss doch schuld sein. Irgendwer muss doch dafür bezahlen.«, heißt es an einer Stelle.

Aber es gibt weder die Guten noch die Bösen, die Grauzone ist fließend. Oder wie Michelle, das junge Mädchen aus dem ersten Band, schließlich, nach allem, was sie durchgemacht hat, sagt: »Daran [an die Schüsse] gewöhnt man sich, wie man sich an alles gewöhnt. Irgendwie muss man ja weitermachen.« Und so geht das Leben tatsächlich weiter, auch wenn die Welt am Ende ist, und die Menschen es mal wieder nicht hören wollten. Vielleicht bringt es doch mehr an die Zukunft zu denken, als auf die ewig gestrige Vergangenheit zu bauen?

Putin-Gegner im Exil

Den Literaturnobelpreis wird Dmitry Glukhovsky – zumindest in der deutschen Übersetzung – eher nicht für Outpost – Der Aufbruch gewinnen. Aber das macht nichts, denn dafür erwarten die Leser über 400 bluttriefende Seiten voller Spannung und Action, die nur so dahinfließen und sich einfach verschlingen lassen. Glukhovsky ist einer der prominentesten Putin-Gegner in der russischen Kulturszene und musste im März 2022 das Land verlassen, weil er deutlich gegen den kriegerischen Überfall Russlands auf die Ukraine Stellung bezogen hatte.

Inzwischen ist er zur Fahndung ausgeschrieben und lebt im europäischen Exil. Mit seinem Debütroman Metro 2033, im Original 2007 erschienen, landete er auf einen Anhieb einen Besteller, zwei weitere Bände folgten. Outpost – Der Posten erschien im Original 2017, auf Deutsch 2021. Im Mai 2023 folgte Der Aufbruch, beide Bände sind als Hardcover im Heyne Verlag erschienen.

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