Andere Welten

Bücherecke: Cassandra Clare: Sword Catcher – Die Chroniken von Castellan

© Penhaligon

Birgit Schwenger hat für uns in “Sword Catcher – Die Chroniken von Castellan” hineingeschaut und berichtet von einer neuen epischen Fantasy-Saga mit hohem Suchtpotential.

© Penhaligon

Der Waisenjunge Kel ist zehn Jahre alt, als er vom Hauptmann der königlichen Garde Castellans zum Königspalast auf den Großen Hügel gebracht wird. Die meisten Bewohner Castellans gelangen Zeit ihres Lebens niemals auf den Großen Hügel, auf dem die Adeligen und die Familien der Charta-Häuser leben. Diese verfügen über besondere Genehmigungen des Königs, um den Handel auf den Goldstraßen zu kontrollieren, der ihren unermesslichen Reichtum begründet.

Kel ist auserkoren, der Schwertfänger des Kronprinzen Connor zu werden: Durch Zauberei wird sein Aussehen dem des Kronprinzen angeglichen, und er wächst als dessen adeliger Cousin gemeinsam mit dem Prinzen am Hofe auf, erhält den selben Unterricht und dieselbe Bildung. Von nun an ist sein einziger Lebenszweck der Schutz des Prinzen. Kel ist dessen geheimer Leibwächter, übernimmt unerkannt die Rolle des Prinzen in gefährlichen oder unliebsamen Situationen, um den Preis des Verzichts auf sein eigenes, vom Prinzen unabhängiges Leben.

Elf Jahre später hat Kel es sich in seinem Leben eingerichtet und genießt die Freuden und den Luxus, die der königliche Hof ihm bieten. Connor und er sind wie Brüder, doch manchmal spürt Kel insgeheim das Verlangen nach Freiheit von den Zwängen seiner Rolle, das Verlangen nach den Reisen, die Connor ihm einst versprochen hat, danach seinen eigenen Träumen und Wünschen folgen zu können. Niemals würde er dafür den Prinzen verraten, ihm gilt seine uneingeschränkte Loyalität, für ihn würde er ohne zu zögern sterben. Doch Kel beginnt zu hinterfragen, was das letztlich für sein eigenes Leben bedeutet.

Das Maß der Magie

Als er beinahe einem Attentat zum Opfer fällt, das den Prinzen galt, tritt die Heilerin Lin Caster in Kels Leben und das des Prinzen. Sie entstammt dem Volk der Ashkar, die als einzige nach wie vor über ein geringes Maß an Magie verfügen, dafür aber strengen Regeln folgen und gezwungen sind, ihr Leben weitestgehend hinter Ghettomauern zu verbringen. In Castellan erfreuen sie sich keiner großen Achtung, obwohl einer der ihren traditionell dem König als Berater dient und ihre Heilkünste hochgeschätzt werden.

Auch Lin hat sich der Heilkunst verschrieben, obwohl dies für Frauen der Ashkar nicht üblich ist und bei ihr gerade noch so geduldet wird. Ihre Rolle bei der Behandlung Kels bringt Lin in große Schwierigkeiten, und schließlich muss sie sich entscheiden, ob sie weiterhin den Regeln und Traditionen ihres Volkes gehorchen oder ihre eigenen Träume und Ziele verfolgen will. Gemeinsam mit Kel wird sie in die düsteren Machenschaften der kriminellen Unterwelt Castellans verwickelt.

Schnell wird Ihnen klar, dass die kriminellen und königlichen Eliten der Stadt gleichermaßen korrupt und verdorben sind, und es sowohl in den höchsten Schichten der Gesellschaft als auch in den dunklen Gefilden des Lumpenkönigs vor Lügen und Intrigen nur so wimmelt.

Worldbuilding at its best

Mit ihrer neuen epischen Fantasy-Saga Die Chroniken von Castellan liefert Bestseller-Autorin Cassandra Clare (Chroniken der Unterwelt, Magisterium-Reihe) erneut ein großes Werk mit hohem Suchtpotential ab. Die Weltenschöpfung ist beeindruckend gut gelungen: Von Geschichte über Religion bis hin zu Sprachen und Kulturen hat Clare einen immensen Reichtum an Fantasie und Details zu Papier gebracht. Erklärungen oder Fußnoten hat sie nicht nötig, in ihren Welten spricht die Geschichte für sich. Und was ist das für eine großartige Geschichte! Eine überraschende Wendung jagt die nächste. Kaum glaubt man sich einer Sache gewiss zu sein und eine Ahnung davon zu haben, worauf die Autorin hinauswill beziehungsweise in welche Richtung sich die Geschichte weiterentwickeln wird, ändert sich alles von Grund auf und die Handlung nimmt einen um 180° gedrehten Verlauf: Das Rätsel raten, wer hinter all dem steckt und worauf alles hinausläuft, beginnt aufs Neue.

Das Tempo ist rasant, auch wenn es durchaus auch ruhig erzählte Passagen gibt, in denen Hintergründe aufgezeigt und das Konfliktpotenzial Castellans mit den benachbarten Ländern thematisiert wird. Man kann niemandem trauen, keiner zeigt sein wahres Gesicht und in die Karten schauen lässt sich erst recht niemand. Es heißt gespannt und aufmerksam am Ball zu bleiben, wenn man nicht den Überblick über die diplomatischen Verwicklungen und gesellschaftlichen Intrigen verlieren will.

Starke Charaktere

Das Herz der Geschichte setzt sich aber trotz aller spannenden Handlungsbögen aus den Charakteren zusammen, die mit all ihren Fehlern und Schwächen sofort zu überzeugen wissen: Da ist Kel, der trotz seiner bedingungslosen Freundschaft zu Connor den goldenen Käfig spürt und mehr und mehr danach verlangt, sein eigenes Leben zu führen. Oder Lin, die begnadete Heilerin, die als Frau vom eigenen Volk Missachtung erfährt und bereit ist alles zu wagen, um ihre Freundin zu retten, die an einer mysteriösen Krankheit zu sterben droht. Oder Connor, der manchmal der eitle und lebenslustige Prinz ist, dem noch nie jemand zu widersprechen gewagt hat, und der manchmal in einer erschreckend selbstzerstörerischen Düsternis zu versinken droht. Oder Lady Antonetta Alleyne, deren einziges Interesse der Prinz zu sein scheint – oder steckt doch mehr hinter der schönen Fassade? Sehr gelungen ist auch das Volk der Ashkar, die – abgesehen von ihren magischen Fähigkeiten – Assoziationen an die Geschichte des jüdischen Volks in der jahrhundertelangen Diaspora wecken.

Jedem Kapitel des Buches ist zudem ein Auszug aus dem Buch der Geschichten der Magier-Könige vorangestellt, das einen Überblick über die Jahrhunderte alte Geschichte Castellans und das Verschwinden der Magie aus der Welt gibt. Hier bleibt definitiv noch viel zu entdecken und zu ergründen, also heißt es eintauchen in diesen prachtvollen, knapp 800 Seiten langen Wälzer, von dem nicht eine Seite zu viel ist. Für den ersten Band heimste Clare Lob von Genre-Größen wie G.R.R. Martin, Holly Black oder Leigh Bardugo ein, an deren Krähen-Dilogie man sich aufgrund der Atmosphäre vielleicht ein bisschen erinnert fühlt. Der zweite Band wird voraussichtlich den Titel Der Lumpenkönig tragen und ist für das Jahr 2025 angekündigt. Fragt sich nur, wie man die Wartezeit bis dahin überstehen soll?

Hoch
WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner