Andere Welten

Bücherecke: Dmitry Glukhovsky: Outpost – Der Posten

© Heyne

Russland nach der Apokalypse: Dmitry Glukhovsky entwirft mit “Outpost” eine schonungslose Zukunftsvision, die näher scheint, als es uns lieb sein kann.

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Der 17-jährige Jegor wächst in Jaroslawl, dem letzten Außenposten des neuen Russlands auf, an der letzten verbliebenen Brücke über die verseuchte und giftige Wolga. Seit Jahren hat niemand mehr die Brücke passiert, keiner weiß so recht, was auf der anderen Seite vor sich geht. Leben dort noch Menschen? Was ist aus den Städten wie Jekaterinburg oder Wladiwostok geworden?

Nur mit Gasmaske kann man die Brücke überhaupt betreten, nach etwa 20 Metern verschwindet sie in einem giftig grünen Nebel, der vom Wasser aufsteigt und über alles seinen Schleier deckt. Selbst der Fluss ist nicht mehr zu sehen, nur seine gurgelnden, schmatzenden Geräusche sind zu hören, aber es kommt ihm eh niemand freiwillig zu nahe: Das Wasser – oder das, was daraus geworden ist – ist absolut tödlich, selbst stahlverstärkte Frachtkähne halten dem Fluss nicht stand, der Fluss ist Tod und Verderben.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

In dieser neuen trostlosen Zukunft träumt Jegor davon, die schöne Michelle, die mit ihren 24 Jahren unerreichbar für ihn ist, für sich zu gewinnen, eine berühmte Rockband zu gründen und mit dieser durchs Land zu touren. Michelle dagegen will nichts lieber als nach Moskau zu ihren Eltern zurückzukehren, die sie vor Jahren in die Sicherheit der Provinz geschickt hatten, als in der Hauptstadt die Kämpfe begannen.

Verzweifelt klammert sie sich nach wie vor an die Hoffnung, ihre Eltern könnten noch leben, obwohl es schon lange kein Lebenszeichen mehr von ihnen gibt. Als auch noch ihr Handy endgültig den Geist aufgibt, bleibt ihr nur noch die ewige Litanei ihrer zutiefst religiösen Großmutter und die abendlichen Gespräche mit ihrem Großvater Nikita, der in der Fabrik des Postens arbeitet.

Die Zukunft sieht wirklich alles andere als rosig aus: Die Vorratslieferungen aus Moskau lassen auf sich warten, der immer gleiche Alltagstrott zehrt an den Nerven und sorgt für steigenden Alkoholkonsum. Jegor kriegt sich mit seinem Stiefvater Polkan in die Haare und versucht der Fürsorge seiner Mutter Tamara zu entkommen, die Visionen hat und angeblich in die Zukunft sehen kann – und die verheißt nichts Gutes.

Das neue russische Reich

Was einst Russland war, heißt jetzt Moskowien. In Moskau herrscht seine kaiserliche Majestät: Das Zarenreich ist wieder auferstanden. Was genau vor der Katastrophe geschehen ist, wird nie so ganz klar: Es hat Aufstände gegeben, Verräter sollen das Land ausgeplündert haben, bis das russische Reich schließlich zusammenbrach und ein neues aus den Trümmern auferstanden ist. Die Grenze im Osten verläuft nun an der verseuchten, giftigen Wolga; an der einzigen verbliebenen Brücke, steht der Wachtposten, der unter dem Kommando von Sergej Petrowitsch Polkan die östlichen Zufahrtswege und somit auch die Brücke bewacht, obwohl man sich fragt, vor wem oder was er das neue Russland beschützen soll, da nie etwas zu passieren scheint. Bis eines Tages tatsächlich jemand von der anderen Seite über die Brücke kommt.

Glukhovsky gelingt es perfekt, das Geheimnis und damit die Spannung aufrecht zu erhalten: Was lauert auf der anderen Seite? Ist dort überhaupt noch irgendjemand oder irgendetwas am Leben? Hat Polkans Frau Tamara recht mit ihren düsteren Vorhersagen oder ist das alles nur Einbildung? Und was ist mit den Chinesen aus Schanghai passiert? Alles scheint möglich. Die Gefahr ist ständig spürbar, etwas brodelt im Verborgenen, das einem bald keine Ruhe mehr lässt.

Den Wachtposten hat Glukhovsky, der 1979 in Moskau geboren ist, mit einem leicht skurrilen Personal ausgestattet: Das ist der Kommandant des Wachtpostens, der es sich gut gehen lässt – so es die Lage zulässt – und seine Befehlsgewalt ausspielt, Moskau gegenüber aber ein kleines Würstchen ist. Seine Frau Tamara, die als Seherin gilt, der alte Nikita mit seinen vielen verborgenen Talenten und seiner tiefreligiösen und bettlägerigen Frau Marussja, der ständig besoffene Ljonka, Kolka Kolzow mit seiner Werkstatt, Tatjana, die Lehrerin, einige Familien mit ihren Kindern und natürlich die Besatzung des Wachtpostens.

Vom Autor zum angeblichen ausländischen Agenten

Bevor er im März 2022 das Land verlassen musste, weil er deutlich gegen den kriegerischen Überfall Russlands auf die Ukraine Stellung bezogen hatte und damit zum offiziellen Staatsfeind geworden ist, arbeitete Glukhovsky als TV- und Radio-Journalist. Mit seinem Debütroman Metro 2033, im Original 2007 erschienen, landete er auf einen Anhieb einen Besteller, zwei weitere Bände folgten.

Outpost – Der Posten erschien im Original 2017, auf Deutsch 2021, was im Hinblick auf den Kriegsausbruch im Februar 2022 fast ein bisschen prophetisch wirkt, auf jeden Fall aber deutlich macht, dass Putins imperialistischen Pläne 2022 nicht vom Himmel gefallen sind. Wie es weitergeht – im Roman, nicht in der Wirklichkeit –, wird der zweite Band der Reihe, Outpost – Der Aufbruch, zeigen, der am 11. Mai im Heyne Verlag erschienen ist. Hochspannung garantiert!

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