Andere Welten

Bücherecke: J.R.R. Tolkien: Der Untergang von Númenor

© Hobbit Presse / Klett-Cotta-Verlag

Birgit Schwenger hat sich mit Tolkien und der Vorgeschichte des Herrn der Ringe in “Der Untergang von Númenor” auseinandergesetzt.

© Hobbit Presse / Klett-Cotta-Verlag

Nachdem die erste Staffel von Die Ringe der Macht im September 2022 veröffentlicht worden ist, hat das große Warten auf die zweite Staffel begonnen: der ideale Zeitpunkt, um tiefer in den Kosmos von Mittelerde einzusteigen bzw. das Wissen um Tolkiens Geschichten wiederaufzufrischen. Was könnte besser dazu geeignet sein als Der Untergang von Númenor, im November 2022 als gebundene Ausgabe in der Hobbit Presse im Klett-Cotta-Verlag erschienen.

Das von Brian Sibley herausgegebene Buch erfasst erstmals alle Geschichten und Schriften J.R.R. Tolkiens über das Zweite Zeitalter Mittelerdes in einem Band, also in etwa den Zeitraum, um den es auch in den Ringen der Macht geht. Vor allen Dingen für Leser*innen, die bislang eher davor zurückgeschreckt sind, in die nachgelassenen und kommentierten Schriften Tolkiens einzusteigen, ist das eine hervorragende Gelegenheit, die Vorgeschichte des Herrn der Ringe kennenzulernen und die Zeit zu erkunden, in der die Ringe der Macht geschmiedet wurden und eine böse Macht wiedererweckt wird, die lange im Verborgenen schlummert.

Geschichten aus dem Zweiten Zeitalter Mittelerdes

Tolkien selbst hat das Zweite Zeitalter als das dunkle Zeitalter Mittelerdes bezeichnet. Zum Dank für ihre Dienste im Kampf gegen Morgoths, Saurons Herrn und Meister, haben die drei Stämme der Edain, der ersten Menschen, von den Valar, sozusagen den Göttern Mittelerdes, eine stark verlängerte Lebenszeit und die Insel Númenor erhalten. Ein großer Teil des damaligen Nordwesten Mittelerdes war durch die Kriege zerstört worden, so dass die Elben nach Valinor, der heiligen Insel der Valar, zurückkehren durften und die Menschen auf Númenor heimisch wurden. Bis es zu einer erneuten Begegnung von Elben und Menschen kam, vergingen hunderte von Jahren. Nicht alle Elben folgten jedoch dem Ruf der Valar, viele verblieben in Mittelerde, für das sie ihr Leben im Kampf gegen Morgoth aufs Spiel gesetzt hatten – so u.a. Galadriel und ihr Mann Celeborn, Gil-galad, der König der Hochelben und Großcousin von Galadriel, und auch Elrond, Sohn Earendils und Bruder von Elros, des ersten Königs von Númenor. Im Gegensatz zu Elros, der sich entschieden hatte, das Schicksal eines Menschen zu wählen, wurde Elrond als Halb-Elbe von den Valar das ewige Leben der Hochelben zugestanden.

Die Elben gründeten das Königreich Lindon mit Gil-galad als ihrem König sowie die Grauen Anfurten, den Hafen im Westen Mittelerdes, von dem die Elbenschiffe, mit denen am Ende des Dritten Zeitalters auch Frodo, Bilbo und Gandalf Mittelerde verlassen, nach Valinor aufbrachen. Später ließen sich die Elben auch in Eriador nieder, das das spätere Königreich Arnor der Dúnedain umfasste und noch später auch das Auenland und Bree. Bis nach Eregion am Fuße des Nebelgebirges zogen die Elben und siedelten sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Moria, der prächtigsten aller Zwergenfestungen, an. Zwischen den Zwergen Morias und den Elben in Eregion entstand ein reger Handel und Austausch, da beide um eine hohe Kunstfertigkeit bemüht waren und wundervolle Werke aus Edelsteinen und dem kostenbaren, in Moria abgebauten Mithril erschufen.

Unter den Elben tat sich besonders Celebrimbor (ebenfalls ein Großcousin von Galadriel) hervor, der nur zu begierig vom großen Wissen des mächtigen Annatars, des Herrn der Geschenke, profitieren wollte, nichts ahnend, wer sich hinter der schön anzuschauenden Gestalt verbarg. Den unbemerkt von den Elben hatte sich Sauron wieder in Mittelerde zu regen begonnen: Als im Jahr 600 des Zweiten Zeitalters die ersten Schiffe aus Númenor nach Mittelerde gelangten, fühlte sich Sauron von der zunehmenden Macht der Menschen bedroht und begann um das Jahr 1000 insgeheim Mordor als sein Bollwerk gegen Elben und Menschen zu befestigen. In verzauberter Gestalt begann er sich unter die Elben zu mischen und versuchte als angeblicher Abgesandter der Valar ihre Freundschaft zu gewinnen. Doch während Gil-galad, Elrond und Galadriel ihn misstrauisch abwiesen, erlagen die Schmiede Eregions seinem Einfluss und begannen unter seiner Anleitung die Ringe der Macht anzufertigen, Zauberringe von großer Kraft, die das Schicksal ganz Mittelerdes bestimmen sollten.

Erstmals alle Geschichten des Zweiten Zeitalters am Stück

Wer sich mit der Vorgeschichte des Herrn der Ringe beschäftigten wollte, musste bislang auf verschiedene Quellen zurückgreifen, um an Informationen über die Ereignisse und die Geschichte der Elben, Menschen und Zwerge aus dieser Zeit zu gelangen. Diese Quellen sind im Wesentlichen die Anhänge des Herrn der Ringe, auf die auch die Macher von Die Ringe der Macht für den Handlungsrahmen ihrer Serie zurückgreifen durften, das Silmarillion sowie die Nachrichten aus Mittelerde, die Christophen Tolkien nach dem Tod seines Vaters editiert und kommentiert zur Veröffentlichung gebracht hat. Zusätzliches Material entstammt der Reihe History of Middle-earth, die ebenfalls Christopher Tolkien betreut und herausgegeben hat.

Im Vorwort erklärt Brian Sibley, dass sein Buch bzw. die dafür ausgewählten Passagen und Auszüge von Tolkiens nachgelassenen Werken die genannten Quellen keineswegs ersetzen sollen, sondern dass es seine Absicht ist, mit so wenig redaktionellen Eingriffen wie möglich in Tolkiens eigenen Worten die Geschichten des Zweiten Zeitalters am Stück zu erzählen: die Geschichte vom Untergang Númenors, dem Aufstieg Saurons, dem Schmieden der Ringe der Macht und dem Letzten Bündnis von Elben und Menschen gegen den Dunklen Herrscher von Mordor.

Bereits das Inhaltsverzeichnis gibt einen sehr guten Überblick über die Geschehnisse, die Herausgeber Sibley für sein Buch zusammengestellt hat, da die Ereignisse nicht nur nach Seitenzahlen, sondern auch nach den Jahreszahlen des Zweiten Zeitalters aufgeschlüsselt sind. Der Untergang der Insel Númenor ist sicher einer der Haupterzählstränge des Buches, aber auch andere Vorkommnisse wie die Gründung des Elbenkönigreiches Lindon, die Entstehung von Moria als prächtigste aller Zwergenfestungen und das Wiedererstarken Saurons machen große Teile der 285 Seiten umfassenden Erzählung aus.

Sibley ist es gelungen, all diese einzelnen Versatzstücke als thematisch zusammenhängende und damit am Stück lesbarere Geschichte für den vorliegenden Band aufzubereiten. Auch wenn er zurecht darauf verweist, dass J.R.R. Tolkien und dessen Sohn Christopher die wahren Autoren und Schöpfer dieser Erzählung sind, so ist Sibleys eigene Leistung als Herausgeber bei der Zusammenstellung keineswegs als gering zu erachten. Schließlich beschäftigt er sich bereits seinen vielen Jahren mit Tolkiens Werken, war u.a. Co-Autor der BBC-Hörspieladaption des Herrn der Ringe und Verfasser zahlreicher Making of-Bücher der Herr-der-Ringe– und Hobbit-Trilogien.

Der lange Kampf gegen den Dunklen Herrscher

Heutzutage ist Der Herr der Ringe weltweit als Tolkiens Hauptwerk bekannt, dabei war es eigentlich der krönende Abschluss einer sehr viel älteren Geschichte oder vielmehr eines ganzen Kosmos an Geschichten, mit denen sich Tolkien schon seit vielen Jahren auseinandergesetzt hatte und die weit in eine ferne Vergangenheit zurückreichten. Eine Vergangenheit, die den jahrtausendelangen Kampf der freien Völker Mittelerdes gegen den Dunklen Herrscher von Mordor schildert oder – wie Herausgeber Brian Sibley es beschreibt –»den Auftakt zum Drama des großen Ringkriegs«, wie er schließlich im Herrn der Ringe erzählt wird.

Farbige Karten und Illustrationen

Im Vorsatz des Buches vorn und hinten sind, zusätzlich zur beiliegenden Faltkarte, weitere Karten von Christopher Tolkien enthalten: Die vordere zeigt die Insel Númenor, die hintere den Westen Mittelerdes am Ende des Dritten Zeitalters. Außerdem enthalten sind zehn Farbzeichnungen von Alan Lee, der für seine Arbeit an Peter Jacksons Herr der Ringe-Verfilmungen mit dem Oscar ausgezeichnet wurde. Weitere schwarzweiß Illustrationen steuerte der bekannte Tolkien-Künstler für die Kapitelanfänge sowie das Cover bei, was das Buch – wie bei der Hobbit Presse üblich – insgesamt zu einem sehr schön gestalteten Werk macht.

Die Anhänge des Bandes enthalten Eine kurze Chronik des Dritten Zeitalters von Mittelerde sowie das númenorische Kapitel von The Lost Road aus der History of Middle-earth-Reihe, ausführliche Anmerkungen, Quellenverweise und Kommentare sowie das Literaturverzeichnis. Die Übersetzung stammt vom langjährigen Tolkien-Kenner und -Übersetzer Helmut W. Pesch. Das Buch umfasst mit Vorwort, Einleitung sowie den Anhängen 432 Seiten und ist Priscilla Tolkien, der jüngsten Tochter J.R.R. Tolkiens, gewidmet, die 2022 verstorben ist.

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