Andere Welten

Bücherecke: Natasha Pulley: Die verlorene Zukunft von Pepperharrow

© Klett-Cotta

Birgit Schwenger lässt sich vom grandiosen Fantasy-Roman “Die verlorene Zukunft von Pepperharrow” aus der Hobbit-Presse ins Japan der 1880er Jahre entführen.

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Fünf Jahre ist es her, dass sich die Lebenswege des eher unscheinbaren Übersetzers Thaniel Steepleton und des eleganten japanischen Uhrmachers Keita Mori im viktoriansichen London des Jahres 1883 gekreuzt haben und sie gemeinsam das mysteriöse Rätsel um die Bombenattentate auf Regierungsgebäude in London gelöst haben.

Seitdem hat sich ihre Freundschaft behutsam weiterentwickelt, und auch Thaniels Adoptivtochter Six, die Mori aus dem Armenhaus geholt hat, hat ihren Platz in der kleinen, ungewöhnlichen Gemeinschaft gefunden, zu der selbstverständlich auch der mechanische Oktopus Katsu gehört. Allerdings befindet sich Mori, der über die seltsame Fähigkeit verfügt, sich an Ereignisse aus der Zukunft erinnern zu können, nun schon seit einiger Zeit auf Reisen, und Thaniel weiß nicht so recht, was er davon halten soll. Zumal Mori gerade dann wie gerufen zurückkehrt, als Thaniel selbst vom britischen Außenministerium nach Tokio geschickt wird, um die seltsamen Vorgänge in der dortigen britischen Gesandtschaft aufzuklären: Angeblich streikt das japanische Personal, weil es in dem Gebäude spukt.

Also begeben sich Thaniel, Mori und Six gemeinsam nach Japan, wo sie zunächst auf Moris Landsitz Yoruji einkehren. Dort werden sie schon sehnlichst vom japanischen Premierminister Kuroda erwartet, ein alter Freund Moris, der sich von diesem Informationen über die Pläne der russische Flotte erwartet, die vor der japanischen Küste Stellung bezogen hat. Thaniel erwartet außerdem eine weitere Überraschung: Er trifft auf die Theaterbesitzerin Takiko Pepperharrow, die halb Engländerin, halb Japanerin ist und sich als Moris Frau entpuppt. Dass Mori ihm diese Tatsache verschwiegen hat, trifft Thaniel sehr.

Doch noch mehr verletzt ihn Moris seltsames Verhalten ihm gegenüber, so dass er schließlich beschließt mit Six in die britische Gesandtschaft umzuziehen. Von da an überschlagen sich die Ereignisse, ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Wird ein Krieg mit Russland ausbrechen? Was bedeuten die seltsamen Geistererscheinungen? Und warum spielt auf einmal die Elektrizität komplett verrückt?

Raffiniert erzähltes Kleinod

Die verlorene Zukunft von Pepperharrow ist der Folgeband zu Pulleys faszinierendem Erstlingswerk Der Uhrmacher in der Filigree Street. Wer dieses Buch noch nicht kennt, sollte es unbedingt noch lesen! Es ist sicher sehr hilfreich beim Lesen des zweiten Bandes, die Handlung des ersten Bandes zu kennen, um die Charaktere und ihre Vorgeschichte besser einordnen zu können. Einige vertraute Gesichter wie die Wissenschaftlerin Grace Carrow und Baron Matsumoto tauchen wieder auf und die neuen Charaktere wie Takiko Pepperharrow sind ebenfalls sehr vielschichtig und komplex angelegt.

Weitere Figuren wie das Personal der britischen Botschaft oder die japanischen Nationalisten, die eben vor dieser Botschaft ihr Protestlager aufschlagen haben, sind gleichermaßen skurril und liebenswert konzipiert und passen sich perfekt dem Tonfall des Buches an: sehr britisch, mit einem tiefen Einblick in die japanische Kultur und viel augenzwinkerndem Humor. Im Vergleich zum Uhrmacher nimmt die Düsternis in Pepperharrow jedoch eindeutig zu. Das spielerisch-leichte Element des ersten Romans spitzt sich immer mehr dramatisch zu: Welches Spiel spielt Mori? Benutzt der magische Uhrmacher die anderen nur, um seine eigenen Ziele zu erreichen? Und wenn ja, welche sind dies? Oder ist er bemüht, Gutes zu wirken, was aber eben manchmal nur mit einem sehr hohen Preis zu schaffen ist?

Gemeinsam mit Thaniel geraten die Leser ins Zweifeln. Es gilt die einzelnen Puzzleteile zu entschlüsseln, aus der Pulley ihre filigran gestrickte Geschichte nach und nach entwickelt, bis alles schließlich ein Ganzes ergibt. Meisterhaft ist jedes kleinste Detail angelegt, um Moris hellseherische Fähigkeiten zur Vollendung zu bringen. Wie ein Uhrwerk bewegt sich das Grundgerüst des Buches fort, ohne dabei je konstruiert zu wirken oder gar vorhersehbar zu sein.

Historische Fantasy mit Faszination für Wissenschaft und Magie

Wieder spielt die Wissenschaft in Pulleys Roman eine große Rolle. Die Britin, die in Oxford Englische Literatur studiert und dann bei der Cambridge University Press die Bereiche Astronomie und Mathematik betreut hat, hat in ihrem historischen Fantasy-Roman erneut die Faszination der Wissenschaft mit dem Zauber der Magie aufs Trefflichste verwoben.

Ausgestattet mit einem ungeheuren Einfallsreichtum, gleichzeitig bezaubernd und tief bewegend, fließen die 589 Seiten des Buches nur so dahin. Im Original bereits 2020 erschienen, liegt nun die deutsche Ausgabe in der Übersetzung von Jochen Schwarzer vor. Die Aufmachung des Buches ist wie immer bei Klett-Cotta sehr stilvoll und gelungen. Bleibt zu hoffen, dass auch der dritte Band der Reihe, The Bedlam Stacks, auf Englisch schon 2017 veröffentlicht und quasi eine Art Prequel zum Uhrmacher, auch noch in der Hobbit-Presse erscheinen wird.

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