Andere Welten

Andor: Ein Franchise ist plötzlich erwachsen

© Disney

Björn Sülter spricht über die Serie “Andor” und was sie für ihn ausmacht.

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Andor – ein Titel wie ein Understatement. Während man drüben bei den Kollegen von Star Trek den legendären Jean-Luc Picard zum namentlichen Aushängeschild seiner eigenen Show machte und zuvor bei Star Wars selbst mit den wahlweise berühmten oder berüchtigten Herren Obi-Wan Kenobi und Boba Fett zu punkten versuchte, war es hier nun der eher unbekannte Cassian Andor, dessen Nachname den Titel spendet. Riskant? Vielleicht. Doch gab es einen solchen Move nicht schon einmal?

Es war einmal …

Wir erinnern uns: Als J. J. Abrams im Jahr 2015 mit seiner Episode VII das Franchise neu belebte, ließ man seitens Disney eine weitere Filmreihe auf die Fans los. Rogue One: A Star Wars Story stellte dabei den Auftakt einer losen Reihe von Anthology-Streifen dar und sollte den kreativen Köpfen die Chance eröffnen, auch außerhalb der großen Skywalker-Saga zu operieren.

Die Rechnung ging nur bedingt auf: Rogue One sackte nach den 2 Milliarden US-Dollar, die Das Erwachen der Macht eingesammelt hatte, auf gut eine Milliarde ab. Nach der äußerst kotrovers diskutierten Episode VIII von Rian Johnson (mit der man ebenfalls nur noch 1,3 Milliarden US-Dollar aus den weltweiten Kinos zog) kam dann der Knall: Ausgerechnet Solo: A Star Wars Story, die Geschichte über einen der größten Franchisehelden und Sympathieträger, riss nicht mal die 400 Millionen-Dollar-Grenze und wurde für Disney zum Rückschlag der Extraklasse. Für die Anthology-Reihe bedeutete dieser Film sogar das verfrühte Aus.

Das ist umso tragischer, da man insbesondere mit Rogue One echtes Gold gehoben hatte. Plötzlich versetzte man uns mitten hinein in einen Randaspekt der großen Geschichte, den wir nie wirklich hinterfragt hatten: Wie konnten die Rebellen eigentlich die Baupläne des Todessterns ergattern? Die Idee, ein Prequel zur heißgeliebten Ur-Trilogie zu schaffen, dabei neue Helden zu etablieren und das Ganze auch noch auf eine überraschend harte, dreckige und realistisch-konsequente Weise zu erzählen, erwies sich als Volltreffer.

Mit dem sympathischen wie charismatischen Diego Luna als Cassian Andor, Felicity Jones, Mads Mikkelsen, Forest Whittaker, Ben Mendelsohn, Alan Tudyk oder Jimmy Smits hatte man zudem potentes Personal an Bord, von den erfreulichen Gastauftritten gar nicht zu sprechen.

Rogue One war bei allen Stärken vor allem eines: völlig anders. Der Film brach aus der überschaubaren Welt des Gut gegen Böse, Weiß gegen Schwarz aus, verlieh dem Universum Ecken, Kanten und einen Detailgrad, der zuvor nicht mal im Subtext existiert hatte. Verlegte Star Wars hier etwa das eigene Worldbuilding in die Tiefe?

Hätte man nie mehr etwas von der Geschichte gehört, wäre Rogue One als erfolgreiche Anomalie Teil der Vita geworden. Und auch wenn es lange danach aussah, sind wir mittlerweile schlauer.

Neue Zeit

Gerade weil es im Kino nicht mehr so recht klappte, kamen das Streamingzeitalter (und die Pandemie mit der Verschiebung in den Home-Entertainmentbereich) dem Sternenfranchise zu Hilfe. Mit The Mandalorian gelang ein Megahit, der weiteren Projekten Tür und Tor öffnete. Das Buch von Boba Fett und Obi-Wan Kenobi gefielen dabei nicht jedem. Die breite Masse nahm jede Chance, tiefer in die Welten zwischen Tatooine, Endor und Coruscant einzutauchen, aber gerne wahr.

Es hätte danach wahrlich ausreichend Optionen gegeben, einer beliebten Figur eine eigene Serie zu schenken. Man denke an Yoda, Leia oder Jar Jar Binks. Okay, dem vielleicht nicht. Doch ging man, wie mit dem ersten Anthology-Film, einen anderen Weg. Vielleicht aus Kalkül? Erneut sollte Cassian Andor im Mittelpunkt stehen und die Vorgeschichte seiner eigenen Rebellionsgeschichte erzählt werden. Klingt sperrig? Vielleicht sogar staubtrocken wie der Wüstensand auf Tatooine? Weit gefehlt.

Star Wars 2.0

Bereits nach den ersten Episoden beschleicht den geneigten Zuschauer das Gefühl, hier etwas revolutionäres zu erleben; zumindest innerhalb von Star Wars. Denn machen wir uns nichts vor: Andere fantastische Franchises (Dune, Der Herr der Ringe, Das Lied von Eis und Feuer bzw. Game of Thrones und House of the Dragon) machen es seit Ewigkeiten vor. Sie gaben ein Setting vor und erweckten es sowohl in den literarischen Vorlagen wie auch den Umsetzungen mit hohem Detailgrad zum Leben. Ein gutes, aktuelles Beispiel stellt auch The Expanse dar. Während in Star Trek oder anderen beliebten Mainstream-Reihen das Worldbuilding oft nur Mittel zum Zweck ist, erschuf man hier eine komplizierte Welt von Morgen, die (auch) durch ihre Komplexität glaubhaft wurde.

Star Wars war immer anders. Mit Episode IV stolperten wir 1977 mitten hinein in den Konflikt zwischen … ja wem eigentlich? Typ in schwarz mit Maske und verzerrter Stimme: muss ein Bösewicht sein. Entstellter Typ mit Umhang und krächzender Stimme: ganz klar ein fieser Möpp. Lustige Roboter, Prinzessin ganz in weiß, treudoofer Teenager mit Hundeblick und cooler Spacecowboy mit haarigem Kumpel? Da bin ich dabei, das ist meine Gang! So einfach gestrickt war die Welt der Filmreihe vor über vier Jahrzehnten; und blieb es. Wir wussten immer, mit wem und gegen wen es zu kämpfen galt. Aber haben wir uns dabei jemals ernsthaft nach dem Warum gefragt?

Andor tut das; und vieles mehr. Bei Andor lernen wir das Imperium kennen und stellen fest, dass es zu diesem Zeitpunkt genaugenommen eine wachsende, höchst bürokratische Institution ist, die nicht anders funktioniert als eine expandierende Firma, die auf dem Rücken der Kleinen ihren Einflussbereich erweitert. Den Imperator sehen wir gar nicht. Er bleibt eine Schattenfigur. Das gleiche gilt für Vader, der nicht einmal erwähnt wird. Stattdessen erleben wir Verwalter, Vorgesetzte, Untergebene, Bürohengste sowie machtgeile Polizisten und erhalten somit ein Abbild unserer eigenen Zeit projiziert auf die Star Wars-Welt. Trekkies werden sagen: Moment mal! Das ist doch Trek-Territorium! Und es stimmt. Andor nimmt sich eine Stärke von Star Trek, das Umwälzen unserer eigenen gesellschaftlichen Probleme und Situation, um ihr eigenes, fiktives Setting zu unterfüttern. Und das gelingt erstaunlich gut!

Die Macher haben sich im Zuge ihrer Serie Fragen gestellt (und Antworten gefunden), mit denen wohl die wenigsten gerechnet hätten. So entsteht vor unseren Augen über die Laufzeit der ersten Staffel eine Welt zum Eintauchen, in der alles einen Sinn ergibt, die Figuren nachvollziehbar agieren und am Ende eine Erkenntnis über all das steht, was wir aus der Ur-Trilogie kennen. Wir sehen das Imperium und die Rebellion mit gänzlich anderen Augen. Eine reife Leistung!

Dass die Macher in diesem Zuge auch mal auf dramaturgische Kniffe (Andors Verhaftung aus dem Nichts im Mittelteil) oder Handlungsklischees (halbe Staffel Heist-Movie, halbe Staffel Prison Break) zurückgriffen, stört nicht. Es passiert drumherum einfach zu viel, was uns bei Laune hält.

Wie gesagt: Andor erfindet das Rad nicht neu; außer für Star Wars. Das geschieht jedoch auf eine dermaßen unterhaltsame, spannende und detailreiche Weise, dass niemand, der sich für das Universum der Sternenkrieger interessiert, hier wegschauen sollte.

Fazit

Andor ist das Beste, was Star Wars seit der Ur-Trilogie auf irgendeine Mattscheibe gebracht hat.

Es ist nichts gegen Popcorn-Unterhaltung wie die neue Trilogie oder ungeschliffen-coole Action wie in The Mandalorian einzuwenden. Mit der realistischen Eindringlichkeit von Andor ist das Franchise jedoch nach satten 45 Jahren erwachsener geworden, als man es ihm jemals zugetraut hätte. Und das ist einfach eine reife Leistung. Die zweite (und auch letzte) Staffel wird mit Freude erwartet.

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