Andere Welten

Gute alte Zeit: Die Geschichte des Amiga Jokers

© Joker Verlag

Björn Sülter erinnert sich heute an den “Amiga Joker”, ein Magazin, das ihn wie kein anderes geprägt hat.

© Joker Verlag

Man sagt, alles habe seine Zeit im Leben. Dennoch gibt immer wieder Ausnahmen, die sich beharrlich weigern, aus dem Fokus einer bestimmten Gruppe von Menschen zu verschwinden. Für Gamer, die in den 1980er und 1990er-Jahren aufgewachsen sind, gehört ganz sicher ein kleines, nerdiges Magazin in diese Kategorie, welches im kommenden Jahr bereits 35 Jahre alt geworden wäre.  

Irgendwo in Haar …

Das Jahr 1989 neigte sich bereits dem Ende entgegen, und für mich als zwölfjähriger Computerspiele-Nerd gab es kein Magazin am Kiosk, das wirklich fesseln konnte. Mit der ersten Ausgabe des Amiga Jokers im November sollte sich das jedoch ändern!

Die Eheleute Michael und Brigitta Labiner hatten im beschaulichen Haar den Joker Verlag gegründet und ein zunächst noch sehr günstig produziertes Magazin zur liebsten Spielekonsole der damaligen Generation an den Start gebracht. Einige Seiten waren noch schwarzweiß, der Umfang überschaubar, und ein besseres Korrektorat wäre durchaus wünschenswert gewesen. Die schleppenden Verkäufe (zunächst wurden nur 15.000 Stück von 50.0000 der Erstauflage abgesetzt) konterte das Team hinter den Kulissen jedoch mit immer stärkeren Inhalten, kauzig-verspielten Ideen und einer Zielgruppenkompatibilität, die ihresgleichen suchte.

Denn eines war schon zu Beginn sonnenklar: Die Redaktion hatte sich einen Draht zur Jugend auf die Fahnen geschrieben! „Affenscharfe“ Spiele, „heiße“ Tipps, eine „Girl-Seite“, Battles, Comics (Brork und Joker) sowie humorvoll-kreative Rezensionen zu Spielen gaben sich die Klinke in die Hand.

Verlagschef Labiner hatte am Markt die Vakanz erkannt: Eine altersgemäße Ansprache der kaufwilligen Zielgruppe! Mit Hilfe einer wunderbaren Redaktion aus Szene-Ikonen wie Carsten Borgmeier, Richard Löwenstein, Werner Ponikwar, Oskar Dzierzynski oder Joachim Nettelbeck gelang ihm das Kunststück, diese – vielleicht gar nicht unmittelbar kaufkräftig erscheinende – Gruppe an sich zu binden. Es wurde fröhlich geduzt, der Schreibstil war locker-flockig und durchzogen von Selbstironie, und man spürte an jeder Ecke die Freude der Beteiligten.

Mit der Zeit wurde es immer nur noch wilder: Die Redaktion etablierte eine Rubrik über Brettspiele („Stromausfall“), brachte News aus der Schwarzkopierer-Szene oder rezensierte bei schlechten Spielen schon mal das beigelegte T-Shirt und erwähnte das Spiel nur am Rande. Obendrauf erblickte der Kicker Cup das Licht der Welt. Dabei handelte es sich um eine Briefpost-Fußballsimulation, deren Trainerentscheidungen mittels Postkarte und Mehrheitsvotum durch die Leser beeinflusst und bei der die Ergebnisse per Bundesliga Manager berechnet wurden. In dieser Spaß-Liga ging es mit jeder Ausgabe einen Spieltag weiter. Gaga!

Ein weiteres wichtiger Aspekt war das Layout, welches in besonderem Maße durch die grandiosen Cover eines Celal Kandemiroglu hervorstach. Identifikation war ein riesengroßes Thema und durchzog das Heft auch in diesem Bereich konsequent.

Zum Gesamtpaket gehörten aber selbstverständlich auch Rubriken wie Cheats und Lösungen, Interviews, Hardware-News, ein fortlaufendes Computer-ABC und Informationen zu Demos. Anfang der 1990er-Jahre hatte das Magazin auf diese Weise eine solide und treue Fangemeinde gefunden.

Ausbau der Marke

Ende 1991 erweiterte der Verlag das Portfolio und präsentierte die Schwesterzeitschrift PC Joker. Obwohl auch hier Mitarbeiter des Amiga Jokers wie Borgmeier und Löwenstein beteiligt waren, erreichte das Magazin nie den Humor des Vorgängers – was sicher auch beabsichtigt war, da man die Zielgruppe der PC-Spieler sicherlich (zu Recht) anders einschätzte als die Freunde der „Freundin“.

Eines blieb jedoch gleich: Egal ob, wie zunächst, alle zwei Monate oder später monatlich, egal ob mit oder ohne Vollversion auf dem Heft: Das Konzept ging lange Zeit wunderbar auf, da sich zunehmend auch Amiga-Spieler für den PC interessierten und somit eine Schnittmenge erzeugten, die bereit war, beide Magazine zu kaufen. Mit rund 250.000 Exemplaren war der PC Joker schon nach kurzer Zeit die erfolgreichste Publikation des Joker Verlags. Die eigene Marke hatte man also erfolgreich gestärkt – doch was passierte derweil bei der Amiga-Crew?

Ende 1992 betrat mit der Amiga Games aus dem Computec Verlag ein potenter Konkurrent die Showbühne und raubte dem Joker zumindest einen Teil der hart erarbeiteten Reichweite. Auf die treue Basis konnte man dennoch lange zählen, die Cover-Disc – damals eine Neuerung und heiß begehrt – war allerdings ein klares Verkaufsargument pro Amiga Games und wertete das ansonsten doch arg biedere Heft auf. Somit gab es zusammen mit der Power Play und der seit 1986 auf dem Markt befindlichen ASM (Aktueller Software Markt) plötzlich vier Magazine, die um Amiga-Spieler buhlten. Letzteres, im Tronic Verlag erscheinendes Werk, war übrigens wie auch der Amiga Joker stark auf Humor gepolt und teilte sich somit schon von Beginn an eindeutig die Zielgruppe mit der Crew von Michael Labiner.

Doch trotz der harten Konkurrenz gab das Thema in dieser Phase noch genug her, um alle Projekte mit ausreichend Lebensenergie zu versorgen. Was hätte die Harmonie da schon trüben können?

Das traurige Ende

Das Drama begann ganz oben: Der Commodore-Konkurs leitete den Niedergang des Amiga ein. Mit jeder Ausgabe schrumpfte der Pool an neuen Spielen, und die Redaktion musste teilweise viel Kreativität aufbringen, um das Heft noch adäquat zu füllen. Mit der Ausgabe im Oktober/November 1996 kündigte Labiner an, dass man aufgrund der Probleme ab sofort nur noch alle zwei Monate erscheinen würde – was immerhin besser wäre, als ganz aufzugeben. Doch dazu kam es nicht mehr. Der Amiga Joker verschwand sang- und klanglos, und das Team konzentrierte sich fortan nur noch auf die PC-Version.

Mit einer sechsseitigen Sonderausgabe im PC Joker 11/2000 erfreute man eine ganze Weile später nochmals die Fans. Im Rahmen der Amiga 32 Germany im Jahr 2017 stellte dann eine Reihe ehemaliger Redakteure ein einmaliges Comeback-Heft zusammen. Zur Amiga 34 Germany im Oktober 2019 wurde im Rahmen des 30-jährigen Jubiläums dann sogar noch eine zweite Comeback-Ausgabe mit der Nummer 1/19 veröffentlicht.

Für den Verlag wurde es nach der Einstellung des Amiga Jokers jedoch mit den Jahren immer schwieriger, das Schiff auf Kurs zu halten. Bereits im Jahr 2000 standen in der Führungsriege die Zeichen auf Abschied. Das Ende vom Lied war dann – für einige in der Redaktion durchaus überraschend – die Insolvenz des Joker Verlags im Jahr 2001. Die letzte – bereits vorbereitete – Februar-Ausgabe des PC Jokers erschien nicht mehr, und die Redaktion zerstreute sich in alle Winde. Michael Labiner zog sich daraufhin komplett aus dem Verlagswesen zurück.

Im Hier und Jetzt

Eines hat sich nicht geändert: Es gibt immer noch viele Fans des Commodore Amiga, und eine ganze Handvoll davon erinnert sich gerne an die Zeiten des Amiga Jokers. Doch was wurde eigentlich aus dem beliebten Team? Celal Kandemiroglu arbeitete noch lange als Grafiker, verstarb aber leider bereits 2022. Die verschiedenen Redakteure (wie Richard Löwenstein) blieben der Szene teilweise bis heute erhalten, und für Verlagschef Labiner erschlossen sich derweil ganz neue Wege: Er lebt in der Nähe von München und ist dort als selbstständiger und freier Autor für Theaterstücke, Drehbücher und zuletzt auch Romane tätig. 2023 erschien sein Buch Überlebenskünstler (der Link führt zu Amazon.de).

Dass er für viele von uns immer der Michael vom Joker bleiben wird, wird ihm sicher nicht gerecht, darf aber gerne als Auszeichnung und Ausdruck von Wertschätzung angesehen werden. Mit seinem Verlag und den Magazinen hat er etwas geschaffen, das auch fast 35 Jahre nach dem Auftakt noch in den Köpfen und Herzen der Menschen existiert. Das ist aller Ehren wert!

Für mich begann mit dem Amiga Joker meine ganz eigene Faszination für Computerspiele. Das Magazin schenkte mir unzählige spannende, spaßige und verrückte Momente und zeigte mir zudem auf, wie wichtig es ist, immer nah am Leser zu agieren. Daraus ergibt sich eine ganz klare Botschaft: Als Journalisten schreiben wir nicht im Vakuum, sondern sollten immer auf die Wünsche des Marktes – und somit unserer Zielgruppe – reagieren. Michael Labiner hat dies in den späten 1980er-Jahren beispielhaft erkannt und umgesetzt. Schade, dass ihm, seiner Crew und dem Verlag letztlich kein Happy-End beschert war. Das ändert allerdings nichts daran, dass insbesondere der Amiga Joker bei vielen Gamern immer einen festen Platz im Herzen behalten wird.

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