Andere Welten

Interstellar: „Geh nicht gelassen in die gute Nacht.“

© Paramount

Unser Sven Wedekin beleuchtet das moderne Meisterwerk “Interstellar” von 2014.

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Wenn es Filmemacher gibt, die ihr Publikum herausfordern, indem sie höchste Konzentration abverlangen, dann sind dies definitiv die beiden Brüder Jonathan und Christopher Nolan. Die gebürtigen Briten sind für Filme bekannt, die sich in vielerlei Hinsicht den Konventionen des zeitgenössischen Blockbusterkinos verweigern, denn sie bieten weit mehr als flache Unterhaltung.

Schon in ihren Kinodebüt Memento aus dem Jahr 2001 erzählten sie eine auf den ersten Blick eher gewöhnliche Geschichte auf eine höchst ungewöhnliche Art, denn sie spielen darin mit unserer Wahrnehmung der Zeit. Genau dieses Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch die Filmografie der Beiden, die seitdem stets zusammenarbeiten, Christopher als Regisseur und Jonathan als Drehbuchautor. Eine ihrer erfolgreichsten Produktionen war ihr Science-Fiction-Epos Interstellar von 2014.

Jenseits der Vorstellungskraft

In der Physik ist schon lange bekannt, dass es im Universum Orte gibt, an denen die aus unserem Alltag anscheinend so vertrauten Gesetze von Raum und Zeit nicht mehr gelten. Es sind die bekannten Schwarzen Löcher, jene unheimlichen Schwerkraftmonster, die alles verschlingen, was ihnen zu nahekommt, sogar das Licht. Dies hat unter anderen die bizarre Konsequenz, dass es im Inneren des sogenannten Ereignishorizontes – jener Grenzzone um das Schwarze Loch hinter der es kein Zurück mehr gibt – möglich ist sich kreuz und quer durch die Zeit zu bewegen.

Jedenfalls ist dies eine These des Films, die aber auch in der Realität von einigen Physikern tatsächlich vertreten wird. Diese ist zwar in der Fachwelt nicht unumstritten, zumal ja niemand wissen kann, wie es im Inneren eines Schwarzen Loches aussieht. Aber die Annahme, dass die Theorie korrekt ist gab den Nolan Brüdern die Möglichkeit eine innovative Geschichte zu erzählen, die ihrer Vorliebe für vertrackte Verwirrspiele entgegenkommt.

In gewissem Sinne kann man Interstellar als durchaus lehrreichen Film bezeichnen. Die meisten Menschen schlagen ja schon verzweifelt die Hände über den Kopf zusammen, wenn sie das Wort Astrophysik auch nur hören. Da fallen dann so unverständliche Begriffe wie Singularität, Hawking-Strahlung, Zeitdilatation oder der bereits erwähnte Ereignishorizont, mit denen kaum jemand etwas anfangen kann.

Doch hinter dieser für den Laien einschüchternden Terminologie verbirgt sich eine wahrhaft faszinierende Welt – oder besser gesagt ein Bereich unserer Welt, welcher nichts mit unserer Alltagserfahrung zu tun hat, aber nichtsdestotrotz real ist.

Den Nolans ist das Kunststück gelungen eine Geschichte zu kreieren, die all diese kosmischen Phänomene für das Publikum erfahrbar macht, und die sie gleichzeitig emotional berührt. Es gibt nicht viele Filmemacher, die in der Lage gewesen wären, eine solche Leistung zu vollbringen und damit auch noch Erfolg an den Kinokassen zu haben.

Die Liebe – Ein Naturgesetz?

Doch obwohl der Film auf den ersten Blick betrachtet vor allem ein mehr oder weniger typisches Weltraumabenteuer ist, in dem es um die Rettung der Menschheit vor der drohenden Selbstvernichtung geht, ist nicht zu übersehen, dass der Fokus der Handlung nicht in der Erforschung der unendlichen Weiten des Kosmos liegt. Vielmehr führt sie die Charaktere wieder auf die Erde zurück. Denn Interstellar ist auch ein Familiendrama, das sich um die Entfremdung zwischen einem Vater und seinen Kindern dreht, die hier als Metapher für die Entfremdung des Menschen von seinem Heimatplaneten gesehen werden kann, wenn er sich aufmacht den Weltraum zu kolonisieren.

Der von Matthew McConaughey dargestellte Astronaut Cooper macht sich auf eine Reise in eine ferne Galaxie, um die Erde und damit auch das Leben seiner Tochter Murph und seines Sohnes Thomas zu retten. Doch vor allem die hochbegabte Murph macht ihm Vorwürfe, da sie glaubt, er würde sie wegen einer eigentlich aussichtslosen Mission im Stich lassen. Paradoxerweise wird eben dieser Konflikt dadurch gelöst, dass sich Cooper so weit wie nur irgend möglich von seinen Kindern entfernt, nur um am Ende doch wieder zu ihnen zurückzukehren.

Meisterhaft nutzen die Nolan Brüder hier die bizarren Eigenschaften Schwarzer Löcher, um ihren Hauptcharakter die Möglichkeit zu geben, sich mit seinen persönlichen Dramen auseinanderzusetzen, diese schlussendlich zu lösen und dadurch gleichzeitig die Zukunft der Menschheit zu sichern. Obwohl der Film vordergründig die Botschaft vermittelt, dass diese auf einen anderen Planeten liegt, ist seine wahre Kernbotschaft, dass wir – die Menschen – uns nur retten können, wenn wir uns auf die Kraft der Liebe verlassen. Diese zugegebenermaßen sentimentale Botschaft ist vielen Zuschauern sauer aufgestoßen.

Interstellar versucht uns doch tatsächlich die Aussage, die Liebe sei eine Art Naturkraft, die über die Grenzen von Raum und Zeit wirksam ist als ernsthafte wissenschaftliche Theorie zu verkaufen. Bemerkenswerterweise gelingt dies dem Drehbuch aber erstaunlich souverän. Die Nolans haben es geschafft zu vermeiden in die Kitschfalle zu tappen. Hätte – wie ursprünglich vorgesehen – Steven Spielberg auf dem Regiestuhl gesessen, hätte er diese Botschaft sicherlich wesentlich platter vermittelt.

So jedoch stellt der Film eine überzeugende Mischung aus menschlichem Drama und visuell außergewöhnlichem Abenteuer dar. 

Ein Meisterwerk mit Macken

Von vielen Kritikern wurde Interstellar mit Stanley Kubricks Überklassiker 2001 – Odyssee im Weltraum verglichen. Dies ist aber nur in Hinblick auf das Design und die Bildgestaltung zutreffend, da die tragisch-emotionale Note in Kubricks Film komplett fehlt. Man kann es an Interstellar aber auch negativ auslegen, dass das die Handlung hauptsächlich tragende Familiendrama eine Anbiederung an das Massenpublikum darstellt. Denn vor allem unterscheidet sich Nolans Film von 2001 dadurch, dass er davor zurückschreckt sich mit religiös-philosophischen Fragestellungen auseinanderzusetzen.

Überhaupt ist es in unserer heutigen Zeit auffällig, wie sehr Filmemacher es vermeiden, sich mit den großen ontologischen Fragen zu beschäftigen, zum Beispiel der Frage nach Gott und dem Sinn des Lebens. Gerade bei einem Film wie Interstellar wirkt dies fast wie eine verpasste Gelegenheit, was schade ist, zumal er den Sinn des Lebens – und hier ist der Streifen typisch amerikanisch – im Zusammenhalt der Familie und mitnichten in der Erforschung der Mysterien des Alls verortet. Ihm fehlt daher ein wenig die visionäre Kraft einen Sinn zu finden, der über die menschliche Existenz hinausgeht. 

Ein weiterer manchmal geäußerter Kritikpunkt, der aber vielleicht nicht ganz fair ist, ist dass der Film das ein oder anderer Logikloch enthält, welches die Handlung im Grunde ad absurdum führt. Ich kann und will jetzt nicht im Einzelnen auf diese vermeintlichen Fehler eingehen, nur sei der Hinweis erlaubt, dass sich praktisch alle Filme der Nolan Brüder dadurch auszeichnen, dass man sich als Zuschauer seinen eigenen Reim auf die Geschehnisse machen muss.

Manche Kritiker von Interstellar mögen sich davon überfordert gefühlt haben, und Plot-Holes hineininterpretiert haben, die gar nicht wirklich da sind. Mit ihrer schwindelerregenden Reise durch Raum und Zeit gingen die Nolans das Risiko ein ihr Publikum zu überfordern. Aber genau dieser spezielle Mut zum Risiko ist durchaus auch als Pluspunkt für diesen Film, wie auch für das ganze bisheriges Werk der Nolan Brüder zu sehen: Sie vertrauen der Intelligenz ihres Publikums, indem sie nicht alle Aspekte ihrer Geschichten zu Tode erklären, um auch den letzten Zuschauer mit dem Holzhammer zu verdeutlichen, worum es in ihren Filmen eigentlich geht.

So steht Interstellar eben doch auf einer Stufe mit 2001. Beide Werke wecken den Sinn für das Wunderbare und blicken auch auf uns selbst zurück, indem sie uns daran erinnern, was es bedeutet, ein Mensch zu sein …  

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