»Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann«, weiß ein altes Sprichwort, und wie bei vielen, wenn auch nicht restlos allen davon liegt hierin viel Wahrheit. Insbesondere auf die Star Wars-Fanszene trifft die alte Weisheit zu, jedenfalls spätestens seit der mittlerweile ebenso berüchtigten wie berühmten Sequel-Trilogie bestehend aus den Episoden VII bis IX.
Nach einer kurzen Entspannungspause, während der man die überwältigende Innovation der ersten Live-Action-Fernseh- beziehungsweise Streaming-Serie The Mandalorian zu genießen schien, entwickelte sich Serie Nr. 2, The Book of Boba Fett zum ausgesprochenen Zankapfel in manchen Fan-Fraktionen und sorgte für heftigste Diskussionen insbesondere in den sozialen Netzwerken.
Nun, kurz nach dem Start der mittlerweile dritten Live-Action-Inkarnation der Saga für das Pantoffelkino scheint es, als seien auch die Interim-Abenteuer des berühmten Jedi-Ritters wieder dazu angetan zu polarisieren. Obwohl bei Disney+ erst zwei Folgen zu sehen waren beziehungsweise sind, gibt es offenbar nur zwei Möglichkeiten: Man liebt oder man hasst die neue Serie. Dass die Wahrheit wie so oft irgendwo in der ausgewogenen Mitte liegt, wird hierbei gern übersehen: Siehe unser altes Sprichwort vom Anfang.
Die Rückkehr des Jedi-Ritters
Eine großartige Charaktereinführung braucht jemand wie Obi-Wan Kenobi – der nun, wie wir schon damals in Krieg der Sterne und heute Episode IV erfuhren und erfahren, unter dem schlichten Namen Ben lebt – schlicht und ergreifend nicht. Ewan McGregor, eigentlich ein noch immer kassenträchtiger Kinostar und nur eher selten auf der kleinen Leinwand zu sehen, spielt die Rolle mit der Routine eines Schauspielers, der sie seit mittlerweile 23 Jahren und somit weit länger als der berühmte Originaldarsteller Sir Alec Guinness verkörpert (der spielte sie »nur« 6 Jahre lang).
Doch Obi-Wan ist zu Beginn der neuen Serie längst nicht mehr der gewandte und mitunter recht zynische junge Jedi-Meister aus der Prequel-Trilogie, sondern er ist zum verbitterten und desillusionierten Veteranen geworden, der seine einstigen Ideale ebenso vergessen und verstecken muss wie sich selbst auf dem Wüstenplaneten Tatooine, wo er als Arbeiter in einer diktatorisch geführten Fleischfabrik sein Dasein fristet.
Kein wenig leichter wird seine eigentliche Aufgabe, die Beobachtung des kleinen Luke, der bei den Farmersleuten Beru und Owen Lars aufwächst (Owen Lars, das nur am Rande, war übrigens im 1983 erschienenen Filmroman zu Die Rückkehr der Jedi-Ritter von Autor James Kahn noch Obi-Wans Bruder). Owen steht ihm mit unverhohlener Ablehnung gegenüber und möchte verhindern, dass es seinem kleinen Ziehsohn so ergeht wie seinem unglückseligen leiblichen Vater.
Die Darstellung einer solchen Situation benötigt (Lauf-) Zeit, die man natürlich nicht mit allerlei Action vollpacken kann. Sicherlich, eingeblendete Erinnerungen an frühere Lichtschwertduelle gegen wen auch immer etwa hätten hier das Erzähltempo zwar ein wenig erhöht, auf der anderen Seite jedoch keinerlei dramaturgischen Zweck erfüllt. So heißt es schlicht und ergreifend abwarten, bis die Geschichte in Gang kommt. Leider jedoch ist Geduld, auch bei Filmen und Fernsehserien, nicht eines oder einer jeden Sache; auf der anderen Seite allerdings hat gerade Star Wars seine Fans stets in einem wahren Übermaß verwöhnt, was das angeht.
Betrachtet man sich die Anfänge der Kinoepisoden, so geht es da eigentlich ab den ersten Filmminuten tüchtig zur Sache, was Action anbetrifft. Doch das Fernsehen, auch das für den Streaming-Bereich, ist eben ein anderes Medium und kann sich durchaus mehr Zeit bei der Schaffung seiner illusionären Welten lassen. Das war bereits ein wesentlicher Kritikpunkt bei der vorherigen Serie The Book of Boba Fett und droht es nun ein weiteres Mal zu werden. Vielleicht müssen auch Altfans der Star Wars-Saga ein wenig mehr mit der Zeit gehen, die andere Erzählstrukturen mit sich bringt als in den 70er- und frühen 80er-Jahren der Fall.
Der Kanon …
… wird zumindest bisher nicht nachteilig angerührt, dies war in der Vergangenheit sowohl im Star Wars-Universum als auch den benachbarten Roddenberry’schen Welten stets ein großes Thema. Obi-Wans Exil auf Tatooine und sein Zusammentreffen mit Luke nach rund zwanzig Jahren waren schon immer fester Bestandteil der kanonischen Serienchronologie und so wirklich erfahren, was der ehemalige und künftige Jedi in dieser Zeit so tat, hat man ja nicht wirklich, was einen gewissen Spielraum eröffnet (und durchaus möglich macht, dass der Jedi-Eremit Tatooine zeitweise verließ).
Figuren wiederum wie die imperialen Inquisitoren wurden bereits in der Animationsserie Star Wars Rebels erstmals in die kanonische Saga-Welt eingeführt und entsprechend erklärt: Ihr Erscheinen ändert nichts an der späteren Gesamtgeschichte (abgesehen davon, dass die geheimnisvollen Inquisitoren irgendwann von der Bildfläche verschwanden), und Kritik an ihrem Auftauchen wäre hier sicherlich fehl am Platze. Wie gut die neuen Charaktere gestaltet sind, liegt im Auge des Betrachters: Die dritte Schwester Reva (Moses Ingram aus der Netflix-Serie Das Damengambit) kassierte schon kurz nach ihrem ersten Auftauchen diverse Fan-Schelte: Sie sei eine ausgesprochene Klischee-Figur, die aufgrund ihres zwiespältigen Hintergrundes (über den man bisher lediglich vage Andeutungen erfahren hat) so etwas wie das Star Wars-Pendant der ebenfalls vielbekrittelten Michael Burnham aus Star Trek: Discovery, stand da unter anderem zu lesen.
Wie wäre es, möchte man da gern in die Runde fragen, wenn man einer Figur erst einmal die Möglichkeit zur Entfaltung geben und erst dann abschließend über sie urteilen würde? Hinzu kommt, dass es gerade Klischeehaftigkeiten sind, mit denen insbesondere Star Wars von jeher offen kokettiert – wie anders wäre das Auftauchen eines jugendlichen Helden, einer schönen Prinzessin und eines finsteren schwarzen Ritters in einer weit entfernten Galaxis sonst zu erklären?
Ebenfalls der Kontinuität folgt die Geschichte der zu Zeiten der Serie zehnjährigen Prinzessin Leia Organa, die als (Adoptiv-) Kind von Prinz Bail Organa und seiner Frau Breha auf dem malerischen Planeten Alderaan aufwächst. Hier wird fleißig bemängelt, dass Leia Obi-Wan Kenobi nach den Geschehnissen in der zweiten Folge von Star Wars: Obi-Wan Kenobi zu Zeiten von Episode IV bereits hätte kennen müssen, doch wird an keiner Stelle des Films gesagt, dass dem nicht so sei und sie ihm noch nie begegnet ist: Im Gegenteil könnte ihre in R2-D2 eingespeiste Botschaft aus dem richtigen Blickwinkel betrachtet sogar den Eindruck erwecken, dass sie den Alt-Jedi bereits kennt.
Das Anakin-Syndrom
Insgesamt haben sich manche der Serie gegenüber wenig wohlwollende Fan-Fraktionen von Anfang an auf die kleine Leia, gespielt von der in Kürze zehn Jahre alt werdenden Vivien Lyra Blair (unter anderem bekannt aus dem Netflix-Film Bird Box: Schließe deine Augen von 2018) eingeschossen: Das durchaus pfiffige Spiel der kleinen Darstellerin wird als »nervig und nicht halb so putzig wie Grogu (aus The Mandalorian)« ausgepfiffen, und (erwiesene) kleine dramaturgische Fehler in der Serienhandlung (so kann Leia relativ mühelos vor erwachsenen Verfolgern davonlaufen) gnadenlos ihr angekreidet.
Leider wissen nicht nur Star Wars-Fans, wohin derartiges Bashing von Kinderdarstellern führen kann: Neben dem Fall des damals ebenfalls neunjährigen Jake Lloyd, der in Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung (The Phantom Menace) den späteren Darth Vader Anakin Skywalker als Kind spielte und durch anschließendes Mobbing psychisch schwer erkrankte, hatte auch Wesley-Crusher-Darsteller Wil Wheaton unter hämischen »Fans« zu leiden und kämpfte noch viele Jahre lang mit den Folgen.
Es bleibt zu hoffen übrig, dass der kleinen Vivien Lyra Blair dergleichen erspart bleiben wird: Obwohl Vergleiche mit der Darstellungsweise von Carrie Fisher, die bekanntlich die erwachsene Ausgabe von Leia spielte, selbstverständlich stark hinken, erschafft die Jungschauspielerin einen liebenswerten Kindercharakter mit der richtigen Mischung aus Naseweisheit und Naivität, um eine sehr junge Ausgabe der später ikonischen Prinzessin glaubwürdig wirken zu lassen.
Ihren Zwillingsbruder Luke auf Tatooine, gespielt von Grant Feely (zuvor unter anderem zu sehen in der neuen Creepshow-Serie, die hierzulande noch immer nicht veröffentlicht wurde) sieht man zumindest in der ersten Folge von Star Wars: Obi-Wan Kenobi lediglich aus der Ferne durch das Beobachtungsfernglas des Titelhelden.
Zögerliche Action
Eine weiterhin absolut positive Angelegenheit (zumindest in den Augen des Rezensenten) ist die Darstellung Obi-Wans als allmählich in die Jahre kommender Recke: So erfahren wir, dass er bereits seit Beginn seines Exils auf Tatooine die Macht nur sehr begrenzt eingesetzt hat, um keine Aufmerksamkeit zu erregen und seine wahre Identität zu verbergen.
Und siehe da, die Macht beziehungsweise die Fertigkeit in den von ihr verliehenen Fähigkeiten wie etwa Telekinese (das Bewegen von Gegenständen durch geistige Kräfte) kann durchaus einrosten: Als Obi-Wan die kleine Leia im wahrsten Sinne des Wortes vor dem Abstürzen retten muss, kostet ihn dies ein gerüttelt‘ Maß an Anstrengung.
Auch ansonsten zeigt sich in den Action-Szenen in der zweiten Folge (die auf dem heruntergekommenen Planeten Daiyu spielt), dass unser Held längst nicht mehr der zu körperlichen Hochleistungen fähige und dennoch besonnene Jungspund aus den Film-Episoden I bis III ist: Auch Helden werden älter, und das finale Ich Obi-Wan Kenobis (dann verkörpert vom berühmten Sir Alec Guinness) war ebenfalls eher für seine Weisheit als für seine körperliche Agilität und Kampfkraft berühmt. In den Augen des Rezensenten verleiht dies sowohl der Figur als auch seinen Machern einen ungemein sympathischen Zug: Auch Helden werden älter.
Das Fazit
Dass Star Wars: Obi-Wan Kenobi nicht ohne Fan-Kritik ab der ersten veröffentlichten Folge vorbehaltlos angenommen und bei Weitem nicht allein Wohlwollen erfahren würde, war sicherlich nicht allein dem Rezensenten klar.
Gerade in Sachen Star Wars scheint bei vielen Fans der Saga nach einer langen Flaute in Sachen Neuheiten und einer ihr nachfolgenden Flut neuer Franchise-Ergänzungen ein Zustand der Übersättigung eingetreten zu sein: Erst vor Kurzem endete The Book of Boba Fett und bereits ab August erwartet die Fans mit Star Wars: Andor die dann bereits vierte neue Live-Action-Serie aus den Welten der Saga. Angesichts eines derart überwältigenden Überangebotes scheint es einigen Warslern, wie man die Fans der Saga in Anlehnung an die berühmten Trekkies nennt bisweilen schwerzufallen, Neues wie Star Wars: Obi-Wan Kenobi wirklich zu schätzen.
Nein, natürlich ist die Obi-Wan-Serie nicht perfekt, ebenso wenig wie The Book of Boba Fett oder auch The Mandalorian. Der neue, düstere Ton, den Star Wars bereits seit Episode III, Die Rache der Sith (Revenge of the Sith)anno 2005 eingeschlagen hat, trifft nicht den Geschmack aller Fans, und auch die zahlreichen rein zeitgemäßen, der heutigen Kultur und den modernen Zuschauer-Sehgewohnheiten angepassten Neuerungen mögen insbesondere den Ur-Fans der Saga mitunter schwer im Magen liegen. Doch macht dies aus einer neuen Serie, die in Stil und Handlung eben anders ist als bisherige Franchise-Bestandteile noch lange kein schlechtes Star Wars. Es ist ein anderes, ein neues Star Wars, richtig. Doch um dies zu erkennen und entsprechend zu würdigen, muss man sich auf das Ganze auch einlassen können, was sicherlich ein relativ schwieriger Prozess sein mag, wenn man mit den Episoden IV bis VI in den seligen 80er-Jahren aufgewachsen ist (schließlich geht dies auch dem Rezensenten so).
Doch hat man dies einmal geschafft, dann kann und dann wird Star Wars: Obi-Wan Kenobi so richtig Spaß machen und gar manches Meckern auf astronomisch hohem Niveau wird keinen echten Sinn mehr erfüllen. Und vor allem: Noch haben wir vier weitere Episoden der als Mini-(Streaming-)TV-Event angedachten Serie vor uns (allerdings wird eine zweite Staffel derzeit nicht mehr völlig ausgeschlossen), und der Auftritt des berühmten Darth Vader steht ja erst noch ins Haus. Manchen Fan-Kritikern sei also angeraten: Geduld bringt Ehre!